Ansichtssache in Remscheid Fremd in der eigenen Stadt

Meinung | Remscheid · Auf der Alleestraße herrscht immer häufiger eine babylonische Sprachverwirrung. Das schafft im ersten Moment ein Gefühl des Unbehagens.

  CHRISTIAN  PEISELER

CHRISTIAN PEISELER

Foto: Moll, Jürgen (jumo)

Ich sitze im Café Steinbrink und blicke in die abendliche Spätsommersonne, die ihre letzten warmen Strahlen über den Allee-Center-Brunnen wirft. Hinter mir unterhalten sich zwei türkische Männer angeregt. Ebenso eine Gruppe türkischer Männer hinten am Brunnen. Ihre Herkunft erkenne ich an den Wollmützen, die die älteren Herren tragen. Drei Frauen mit Kopftuch überqueren mit Einkaufstaschen die Allee. Welche Sprache die vier jungen Männer in Trainingsanzugshosen und Muskelshirt sprechen, kann ich nicht genau identifizieren. Russisch? Polnisch? Auf keinen Fall Deutsch. Deutsche könnten sie aber sein, denke ich. In jedem Fall Remscheider. Der Weg ins Center scheint ihnen vertraut.

Ich ertappe mich bei dem Gedanken, ein Fremder in meiner Stadt zu sein, in der ich seit mehr als 50 Jahren lebe. Es ist nicht das erste Mal, dass mich dieses Gefühl überkommt. Ich verstehe immer seltener, was am Nachbartisch gesprochen wird. Ich kann mich auch nicht mit den Menschen in ihrer Sprache unterhalten. In der Schule habe ich Englisch und Französisch gelernt. Kein Türkisch, kein Russisch, kein Italienisch. Aber diese Sprachen kann ich in meiner Heimatstadt kaum gebrauchen. Ich bin in gewisser Weise sprachlos. Ist das noch mein Remscheid? Ist das überhaupt die richtige Frage in diesen Migrationszeiten? Ich bin verunsichert. Diese babylonische Sprachverwirrung weht mich am häufigsten in der Innenstadt an. In der Lenneper Altstadt habe ich dieses Gefühl noch nicht gehabt. Dort gibt es eher die Schwierigkeit, in der Ferienzeit ein offenes Café zu finden.

Ich gebe zu, wenn ich eine junge türkische Mutter mit Kopftuch sehe, empfinde ich ihre äußere Erscheinung im ersten Moment als ein Statement gegen die offene Gesellschaft. Das ist vielleicht ungerecht. Aber bei aller Liberalität schleicht sich ein Unbehagen ein. Umso überraschter war ich beim Besuch der Stadtbibliothek. Vor mir ging eine türkische Mutter, Kopftuch, schwarzes Kleid, die ihre Kinder in die Bücherei begleitete. In klarem Deutsch, als wäre es ihre Muttersprache, wies sie ihre Kinder an, selbstständig die Bücher zurückzugeben. Ein Sonderfall, denke ich. Am liebsten hätte ich sie gefragt, wie das zusammenpasst, Kopftuch, Tradition und aufklärerisches Lesen. Beim nächsten Mal frage ich, habe ich mir vorgenommen.

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