Selbsthilfegruppe Adipositas in Remscheid „Das Lebensgefühl ist unbeschreiblich“
Remscheid · Regelmäßig trifft sich die Selbsthilfegruppe Adipositas Bergisches Land auch in Remscheid. Viele Teilnehmer hatten bereits eine Magen-OP.
Dass Steffi, groß, schlank, lange blonde Haare und ein strahlendes Lächeln, noch vor einigen Jahren 260 Kilo gewogen hat, selbst auf dem Weg zur Toilette Hilfe brauchte, einsam und isoliert lebte, das ist selbst mit viel Vorstellungskraft kaum fassbar. Heute, 180 Kilo leichter, gehört die 38-Jährige zum Leitungsteam der Selbsthilfegruppe Bergisches Land, die sich einmal im Monat auch in Remscheid trifft.
An diesem Dienstag sind es rund 20 Teilnehmerinnen, die in die Denkerschmette an der Kippdorfstraße gekommen sind, auch zwei Männer sind heute dabei, meistens aber sind es mehr. Nahezu alle haben eine ähnliche Tortur wie Steffi hinter sich: Über Jahrzehnte schwer übergewichtig, einhergehend mit großen körperlichen und psychischen Problemen. Weder Diäten noch Sport brachten den gewünschten Erfolg. Erst eine Magen-OP lies anschließend die Kilos purzeln. Einige der Anwesenden haben seit Jahren einen Schlauchmagen oder einen Magen-Bypass, einige sind frisch operiert.
„Was war denn das Tollste nach der Gewichtsabnahme für Euch?“ will Steffi von den anderen wissen. „Im Schwimmbad auf die Rutsche zu gehen, ohne stecken zu bleiben“, antwortet eine Teilnehmerin spontan, alle lachen. „Nicht mehr in die Zeltabteilung gehen zu müssen, um Kleidung zu kaufen“, berichtet eine andere und grinst. Julia holt weiter aus: „Ich bin immer gerne geritten. Irgendwann war ich so dick, dass ich das einem Pferd nicht mehr zumuten konnte. Und dann nach der OP wieder aufs Pferd zu steigen, ohne schlechtes Gewissen dem Tier gegenüber, das hat mich so unsagbar glücklich gemacht.“
Simone genießt, dass sie endlich Pommes oder Döner essen kann, ohne von anderen angestarrt zu werden. „Oder auch in Bezug auf Männer: Früher hieß es immer, ‚du hast ja so ein hübsches Gesicht und bist so nett‘, aber mit mir zusammensein, das wollte keiner. Heute merke ich, dass ich wirklich als Frau wahrgenommen werde“, erzählt die 31-Jährige. Eine andere ist begeistert, wie viel Energie sie plötzlich hat. „Wenn ich früher mit anderen spazieren gegangen bin, habe ich nach ein paar Metern schlappgemacht, heute bin ich die, die die anderen antreibt.“
Auch wenn an diesem Abend – bis auf eine Teilnehmerin und eine Begleitung – alle Anwesenden (bereits) operiert sind: Die Selbsthilfegruppe richtet sich grundsätzlich an alle, die mit ihrem Gewicht große Probleme haben, egal ob 20 oder 60 Jahre, ob Mann oder Frau. „Es geht hier um den Erfahrungsaustausch“, betont Steffi, „es geht um Mutmachen und wertvolle Ratschläge und auch darum, andere aufzufangen, die vielleicht gerade in einer Krise stecken.“
Eine operierte Teilnehmerin sorgt sich etwa, weil sie nachmittags ständig unterzuckert ist. „Ich will dann nichts Süßes essen, ich habe Angst, wieder zuzunehmen“, berichtet sie den anderen. Tipps gibt es für sie reichlich. „Bitte notiere dir deinen genauen Energieverbrauch“ oder „Dein Körper signalisiert vielleicht, dass du zu wenig Kalorien zu dir nimmst“. Einig sind sich aber alle, „dass der Gang zum Diabetologen unausweichlich ist“. Julia erzählt von ihren Körperwahrnehmungsproblemen, die sie nach der OP eingeholt haben. „Ich schaute an mir runter und fand mich immer noch dick, der Blick in den Spiegel oder der Gang auf die Waage hat nichts genutzt. Das kam einfach in meinem Kopf nicht an.“
Zwei Stunden lang wird sich ausgetauscht, rege diskutiert und ganz viel gelacht. Es scheint, als seien sich alle einig: Die Entscheidung für eine OP – gerade vor dem Hintergrund, dass eine Narkose bei einem stark erhöhten Körpergewicht viele Risiken birgt – war die Richtige. „Wer nur das Dicksein kennt, bekommt ein zweites Leben geschenkt“, fasst es Steffi zusammen. „Von 260 auf 80 Kilo runter, wie soll ich es anders sagen: Das Lebensgefühl heute ist einfach unbeschreiblich.“