Interview mit Friederike Pohl vom Behindertenbeirat Beim Thema Inklusion stockt es

Remscheid · Die Vorsitzende des Beirats für Menschen mit Behinderung plädiert für die Einführung von Leichter Sprache.

 Friederike Pohl, Vorsitzende des Beirats für Menschen mit Behinderung, im Interview mit der Bergischen Morgenpost.

Friederike Pohl, Vorsitzende des Beirats für Menschen mit Behinderung, im Interview mit der Bergischen Morgenpost.

Foto: Moll, Jürgen (jumo)

Frau Pohl, wie viele Menschen in Remscheid gelten als behindert?

Friederike Pohl Nach meinen Informationen sind es etwa 40.000 Menschen. Auch Menschen mit chronischen Erkrankungen zählen dazu.

Ist Remscheid eine behindertenfreundliche Stadt?

Pohl Noch nicht ganz.

Was fehlt?

Pohl Aufzüge in öffentlichen Gebäuden und in vielen Fällen überhaupt die Möglichkeit, in die Gebäude hereinzukommen. Häufig sind noch Stufen vor den Eingängen. Mein Stichwort ist immer wieder: Was für Behinderte gut ist, ist auch für Mütter mit Kinderwagen gut.

Finden die Anliegen der Behinderten in Remscheid Gehör?

Pohl Die Stadt ist schon sensibilisiert. Das muss ich sagen. Aber noch nicht genug. Wir müssen noch einiges machen.

Wo würden Sie sich denn Veränderungen wünschen?

Pohl Zum Beispiel bei Berichten und Vorträgen. Sie sollen in Leichter Sprache verfasst werden. Wir hatten bei unserer Jubiläumsveranstaltung eine Frau, die alles in Leichte Sprache übersetzte. Ich muss sagen, für die Leute, die Probleme haben, den Ausführungen zu folgen – und das sind sehr viele Menschen, auch nicht behinderte Menschen – wäre das sehr wichtig, damit alle verstehen können, worum es geht.

Hat der Beirat für Menschen mit Behinderungen genügend Kompetenzen?

Pohl Wir würden uns gerne noch etwas mehr wünschen. Zum Beispiel mehr Mitsprache in den Gremien. Wir dürfen momentan nur mitsprechen, wenn es sich um die Belange von Behinderten handelt. Aber man könnte vielleicht auch schon im Vorfeld etwas ändern. Es sind nicht alle Leiter von Gremien damit einverstanden, dass man sich dann äußert.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Pohl Ich bin in der Bezirksvertretung Alt-Remscheid. Da hatte ich manchmal das Gefühl, man traut sich nichts zu sagen. Inzwischen traue ich mich mehr. Aber in den anderen Bezirksvertretungen scheint das nicht so zu sein, hat man mir erzählt. Als Mitglieder des Behindertenbeirats sind wir auch alle vereidigt. Und wir fänden es gut, auch bei den nichtöffentlichen Sitzungen dabei zu sein. Da gibt es auch Themen, die für Behinderte interessant sind.

Inklusion ist ein großes Stichwort seit einiger Zeit. Glauben Sie, dass die Bürger für das Thema Inklusion sensibler geworden sind?

Pohl Die Bürger sind für das Thema sensibler geworden. Ich habe aber das Gefühl, es stockt. Eines ist klar: Die Lehrer in den Schulen sind überfordert. Sie sind einfach ins kalte Wasser geworfen worden. Das hätte man anders machen müssen. Da wurde das Pferd von hinten aufgezäumt. Es geistert auch immer noch in den Medien herum, dass die Förderschulen abgeschafft werden sollen. Das stimmt überhaupt nicht. Bestimmte Kinder kann man nicht in die normale Schule gehen lassen. Für meine Begriffe kann man heute besser unterscheiden, ob das Kind in die Förderschule geht oder in eine Regelschule. Da hat sich einiges verbessert.

Haben behinderte Menschen in Remscheid genügend Möglichkeiten, am Sport teilzunehmen?

Pohl Wir haben den Hastener Turnverein. Der hat speziell eine Abteilung für Behinderte. Mein Mann, der an MS leidet, ist im RSV und geht schwimmen. Wenn irgendetwas ist, bekommt er Hilfe. Ich denke, das ist in anderen Vereinen auch so. Die Behinderten müssen offen sein und sagen, ich brauche Hilfe.

Menschen mit Behinderungen fühlen sich durch die Mehrheitsgesellschaft oft ausgegrenzt vom normalen Leben. Was können Sie tun, um das schlechte Gefühl loszuwerden.

Pohl Das Problem ist heutzutage das Internet. Das ist der Doktor. Der gibt Tipps und Ratschläge. Doch der PC kann niemanden umarmen. Es liegt an den Patienten selber zu sagen, ich muss mich mal öffnen. Der Behinderte muss die Erkrankung akzeptieren. Das geht nicht anders. Es heißt zum Beispiel von Selbsthilfegruppen, die unterhalten sich nur über Erkrankungen. In unserer MS-Gruppe hatten wir vorige Woche eine neue Frau. Wir haben uns über alles unterhalten. Wir haben gelacht, wir haben Spaß gehabt, wir haben einen Geburtstag gefeiert. Später habe ich die Frau gefragt, ob sie sich das so vorgestellt habe. Das sei ja richtig toll, ich komme öfters, hat die Frau gesagt. Das ist ein Wort.

Man soll sich nicht von der Welt zurückziehen?

Pohl Nein, man soll nach draußen gehen und nicht erwarten, dass jemand auf einen zukommt. Man kann sich abgrenzen. Aber es ist wichtig, jemanden zu haben, zu dem man gehen kann.

Haben Sie noch spezielle Themen, die sie als Vorsitzende im Beirat in den Vordergrund rücken möchten?

Pohl Zum Beispiel das Thema sexuelle Übergriffe bei Behinderten. Da haben wir vor, es mit Fachleuten intensiver zu besprechen. Wir wollen auch das Thema Leichte Sprache weiterverfolgen und Kontakt zu den Vertretern in den Firmen aufnehmen.

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