Stadtführung in Remscheid Auf den Spuren der eigenen Identität

Remscheid · Daniel Sieper und Ute Lenhard-Bangert sind frischgebackene Gästeführer – am Sonntag luden sie zur ersten eigenen Stadtführung ein.

 Reise in die Vergangenheit: Daniel Sieper und Ute Lenhard-Bangert waren mit den Teilnehmern am Sonntag auf der Werkzeugtrasse unterwegs.

Reise in die Vergangenheit: Daniel Sieper und Ute Lenhard-Bangert waren mit den Teilnehmern am Sonntag auf der Werkzeugtrasse unterwegs.

Foto: Theresa Demski

Rolf Gerber hat 30 Jahre im Alexanderwerk gearbeitet. Neben seinem Führerschein in der Geldbörse liegt bis heute der kleine Ausweis, den Mitarbeiter im Werk damals bekamen. Am Sonntagnachmittag steht er am Zaun an der Werkzeugtrasse und blickt mit fast 40 Spaziergängern hinab auf die beiden weißen Hallen, die übrig geblieben sind, auf ein Stück eigene Lebensgeschichte.

Gerade erzählt Stadtführerin Ute Lenhard-Bangert vom Fleischwolf, der es damals aus dem Alexanderwerk in Remscheid in viele heimische Weihnachtsbäckereien im ganzen Land geschafft hat. Sie erzählt von jenen Zeiten, als 3500 Mitarbeiter jeden Tag im Alexanderwerk einstempelten. Und als sie eine Pause macht und ein altes Bild des Werks hochhält, meldet sich Rolf Gerber zu Wort. „Ich habe hier meine Lehre gemacht“, erzählt er. Vor einer Ewigkeit. Aber verbunden fühlt er sich immer noch. Und auch deswegen hat er nicht gezögert, als seine Kinder ihn auf die besondere Stadtführung aufmerksam machten. „Das ist doch unsere Geschichte“, sagt er, „und es ist gut, wenn sie weitererzählt wird.“

Dieser Aufgabe haben sich seit neuestem auch Ute Lenhard-Bangert und Daniel Sieper verschrieben. Die beiden Remscheider haben am VHS-Kurs teilgenommen, den „Die Bergischen Drei“ angeboten hatten, um neue Gästeführer auszubilden. Ein halbes Jahr lang haben sie zweimal in der Woche den Weg nach Solingen hinter sich gebracht und schließlich erfolgreich ihre Prüfung bestanden. Die Führung über die Werkzeugtrasse am Sonntagnachmittag ist ihre Feuertaufe, ihre Premiere. Viele gehen mit, fast 40 Interessierte: Freunde, Ausbilder, alte Hasen in der Stadtführerszene. Und Teilnehmer wie Rolf Gerber, die sich noch daran erinnern, als aus den großen Werken in Remscheid die Melodie der Maschinen klang.

So wird der Spaziergang vom Hauptbahnhof bis nach Vieringhausen dann auch zu einer Reise in die Vergangenheit. „Auf rund 1800 Metern liegen hier so viele historisch bedeutsame Punkte dieser Stadt, wie kaum an einem anderen Ort“, sagt Daniel Sieper. Das beginnt mit alten Fotos vom „Bergischen Hof“, die die frischgebackenen Gästeführer schon am Bahnhof zeigen. Sie erzählen vom Besuch des Kaisers in Remscheid, von geschmückten Straßen und stolzen Häuserfassaden.

Zwischen 1860 und 1910 sei die Einwohnerzahl um das sechseinhalbfache gewachsen, erzählt Sieper. Und mit ihr das wirtschaftliche Leben. Große Köpfe seien in Remscheid zu Hause. Menschen, die das wirtschaftliche Leben in Deutschland für immer veränderten. „Von hier aus wurden schon damals Produkte in die ganze Welt geschickt“, sagt Ute Lenhard-Bangert. Mannesmann, Robert Böker und sein Eisenwarenhandel, die Bergische Stahlindustrie (BSI), Hessenbruch-Stahl, Alexanderwerk, Schlachthof und Ortlinghaus. Trotz mancher Melancholie ob der Veränderung, ob leerer Hallen und verschwundener Arbeitsplätze, klingt doch auch der Geist der Zukunft mit – neue Unternehmen haben sich angesiedelt, aus alten Gebäuden wurden neue Schätze.

Und ohnehin: Die Reise in die Vergangenheit fällt ausgesprochen heiter aus. Das mag mit den vielen Anekdoten zusammenhängen, die die Teilnehmer beisteuern, mit persönlichen Erinnerungen und einem Heimatgefühl, das mitschwingt. Als Daniel Sieper zwischendurch eine alte, versiegelte Branntweinflasche der Destille Franzen rumgehen lässt und auf die besondere Form hinweist, die sich in der Hosentasche so schön an den Oberschenkel schmiegt, tritt ein älterer Herr vor und erzählt einen Witz: „Wenn damals einer mit der Flasche in der Hosentasche hinfiel und spürte, dass das Hosenbein nass wurde, flüsterte er nur: Hoffentlich ist es Blut.“ Ein fröhliches Lachen.

Die Gruppe spaziert weiter – und spendet am Ende überschwänglichen Applaus. Rolf Gerber und seine erwachsenen Kinder samt den Enkelkindern im Kinderwagen machen sich auf den Heimweg. Sie sei froh, dass sie mitgegangen sei, sagt Jill Gerber (28) zu ihrem Vater. „Das alles hat doch auch etwas mit meiner eigenen Identität zu tun. Diese Geschichte gehört zu unserer Stadt.“

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