Claudia Sowa Macht Theater überhaupt noch Sinn?

Remscheid · Die Intendantin des Westdeutschen Tourneetheaters über kleine Erfolge und größere Probleme.

 Intendantin Claudia Sowa in ihrem Büro im Westdeutschen Tourneetheater.

Intendantin Claudia Sowa in ihrem Büro im Westdeutschen Tourneetheater.

Foto: Foto Peter Meuter

Frau Sowa, herzlichen Glückwunsch zur Geburt ihrer Tochter. Hat sich Ihre Sicht auf das Theater durch ihr Muttersein verändert?

Sowa Ja, in mehrerer Hinsicht. Zum einen ist es so, dass ich jetzt ein anderes Baby habe. Vorher war das Theater immer mein Kind, das viel Pflege und Aufmerksamkeit verlangte. Man könnte negativ sagen, ich war Workaholic. Jetzt bin ich das schlagartig nicht mehr. Meiner Tochter möchte ich auch Aufmerksamkeit geben. Diese Zeit geht natürlich von der Zeit ab, die ich bisher fürs Theater hatte. Die Priorität ändert sich ein bisschen. In ideeller Hinsicht frage ich mich auch manchmal. Macht das Theaterspielen in Remscheid überhaupt noch Sinn? Es gibt so ein großes Angebot für eine überschaubar kleine Gruppe.

Warum sollte es keinen Sinn machen?

Sowa Weil man nicht so viele Leute erreicht. Zumindest nicht mit den Sachen, von denen man denkt, dass es lohnenswert wäre.

Welche Aufführungen hätten denn mehr Leute verdient im WTT?

Sowa Zum Beispiel so stille Produktionen wie "Kafkas Tiere" oder "Kleiner Mann, was nun?". Das geht nicht nur dem WTT so im Schauspiel, auch dem Teo Otto Theater. Ernste Produktionen ziehen nicht so viel Publikum an.

Liegt das am Theater oder am Publikum?

Sowa Wenn ich das beantworten könnte? Ich weiß es nicht. Es gibt Stoffe, die eine andere Herangehensweise vom Publikum abverlangen als eine Boulevard-Komödie es tut, und die Bereitschaft voraussetzen, mitdenken zu wollen. Das kann anstrengend sein. Wenn der Besucher sagt, ich möchte mich nicht anstrengen, dann geht er da nicht hin.

Bein WTT gibt es schon seit Jahren das Angebot "Bildungslücke". Es stellt die vielschichtigen Möglichkeiten vor, wie auf der Bühne die Welt gezeigt werden kann. Eine kleine Schule des Sehens. Hat diese Reihe eine gute Resonanz?

Sowa Für Remscheider Verhältnisse, ja. Es erreicht aber nur einen kleinen Kreis aus allen Generationen. Zum Beispiel sehen wir ab und zu junge Leute an einem Samstagabend in unserem Theater. Da wir nach der Vorstellung auch mit dem Publikum das Gespräch suchen, erfahren wir, dass der erste Kontakt zum Theater ein Angebot wie die "Bildungslücke" war. Das sind schöne Erfolge. So soll es gehen. Aber es passiert leider nicht 120 Mal in der Saison.

Sie besuchen mit dem WTT auch Remscheider Schulen, geben Workshops. Ich habe den Eindruck, das Theater ist inzwischen schon ein Teil der Sozialarbeit geworden. Nimmt das nicht zu viel Energie von ihrer eigentlichen Aufgabe?

Sowa Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, nee. Das Kerngeschäft, auf das sich Theater früher konzentriert hat - Proben und Aufführungen auf die Bühne zu bringen - das wird weniger zugunsten solcher theaterpädagogischen Angebote. Da kann es schon mal sein, dass eine Inszenierung weniger auf dem Spielplan steht. Hätten wir mehr Mitarbeiter, könnten wir vielleicht beidem gerecht werden.

Das WTT kooperiert auch mit der Musik- und Kunstschule, wo junge Menschen Spaß haben, selber auf der Bühne zu stehen. Nehmen diese Jugendlichen auch die Arbeit des WTT wahr und besuchen andere Vorstellungen?

Sowa Es ist eine wunderbare Erfahrung. Die Jugendlichen, die einmal an einer Theaterwerkstatt oder einem Musicalworkshop teilgenommen haben, wollen einfach weitermachen. Und bei allen Terminen und Verpflichtungen, die die Jugendlichen bereits haben, kommen sie einmal in der Woche zu uns und vor Premieren natürlich häufiger. Ganz erfreulich ist auch, dass diese Jugendlichen jede Premiere von uns besuchen. Es ist ihr Theater geworden. Manche bieten sich an, auch mal einen Abenddienst zu machen. Sie gehen aber nicht nur ins WTT, sondern besuchen in ihrer Freizeit auch andere Theater. Das haben sie vorher nicht gemacht. Aber auch hier ist es so, es könnten noch mehr sein.

Das Land NRW will den Kulturetat verdoppeln. Machen Sie sich Hoffnung auf mehr Unterstützung?

Sowa Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich wäre schon sehr zufrieden, wenn die Förderung, die wir bisher bekommen, auch bestehen bliebe. Wenn es mehr gibt, toll. Wir sind hier sechs Leute. Es gibt kein festes Ensemble mehr. Wir arbeiten mit Gästen. Das hat den Vorteil, dass wir auch mal neue Leute haben. Aber organisatorisch ist es sehr aufwendig und schwierig, die Schauspieler terminlich unter einen Hut zu bekommen. Wenn es eine Erhöhung geben würde, würde ich ein kleines festes Ensemble aufstellen. Dann habe ich Leute, auf die kann ich immer zurückgreifen, denn sie haben ihr Auskommen hier. Und den theaterpädagogischen Zweig könnte ich auch viel besser bedienen, denn es kommen viele Nachfragen, die wir nicht erfüllen können.

Die drei Städte haben sich zusammengesetzt, um im Kulturbereich besser zusammenzuarbeiten. Können Sie sich vorstellen, mit Gruppen aus Solingen und Wuppertal zusammenzuarbeiten?

Sowa Da sind wir recht offen. Aber man muss sehen, was gibt es für sinnvolle Projekte, die man längerfristig eingehen könnte. Schon im Kleinen ist das sehr kompliziert, weil man terminlich sich abstimmen muss und vor allem verstehen. Das ist ein sehr aufwendiger kommunikativer Prozess. Es ist zusätzliche Arbeit für Einrichtungen, die nur über minimale Ressourcen verfügen.

Sie reißen sich nicht danach?

Sowa Es muss passen, und wir müssen sehen, ob es dafür Kapazitäten gibt. So etwas kann man nicht nebenbei machen. Dafür braucht es Zeit, sonst kommt nichts dabei heraus.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE CHRISTIAN PEISELER

(RP)
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