Im Gespräch mit Carmen Bartl-Zorn Lange Mängelliste bei den Azubis

Remscheid · Die Leiterin des Ressort Aus- und Weiterbildung über Abbrecher, Ausbilder und die Zukunft der Berufe.

Jüngste Umfragen haben ergeben, dass jeder fünfte Auszubildende seine Lehre abbricht. Wie sieht es im Bergischen Land nach Ihren Beobachtungen aus?

Bart-Zorn Die bundesweiten Trends, nachdem jeder fünfte Auszubildende seine Ausbildung abbricht, kann die Bergische IHK nicht bestätigen. Durch die pauschalen Zahlen wird ein schiefes Bild gezeichnet. Häufig schließen die Auszubildenden einen neuen Ausbildungsvertrag in einem anderen Unternehmen oder eben einen anderen Beruf ab. Dann ist es aber ein Wechsel und kein Ausbildungsabbruch. Im IHK-Bezirk lag die reine Abbruchquote im vergangen Jahr bei 9,35 Prozent. Gemessen an den eingetragenen Ausbildungsverhältnissen im Jahr 2017 gab es in den Bereichen Gastronomie und Einzelhandel die meisten Vertragslösungen.

Was sind die Hauptgründe, warum Jugendliche die Lehre abbrechen und wie können Ausbildungsabbrüche verhindert werden?

Bartl-Zorn Die Gründe sind vielfältig. Sie reichen vom Berufswechsel über gesundheitliche Gründe, Kündigung durch den Ausbildungsbetrieb bis hin zu Geschäftsaufgaben. Um Abbrüche zu vermeiden, stehen die IHK-Ausbildungsberater sowohl den Ausbildungsbetrieben als auch den Auszubildenden bei Problemen zur Seite. Oft hilft es, sich bei Schwierigkeiten sofort an uns zu wenden, bevor es zu einer Vertragsauflösung kommt. Sicherlich haben Jugendliche aber auch häufig von ihrem gewählten Ausbildungsberuf ein Bild, das sich nach Ausbildungsbeginn nicht bewahrheitet. Umso wichtiger ist eine gute Berufsorientierung. Die Schüler sollten möglichst viele Gelegenheiten nutzen, um Einblicke in die Berufswelt zu erhalten, zum Beispiel während des Praktikums. Daher appellieren wir auch an die Unternehmen ihre Türen für Berufsfelderkundungen und Praktika weiterhin weit zu öffnen

Die Wirtschaft klagt häufig darüber, viele Auszubildende besitzen nicht die Schlüsselqualifikationen wie zum Beispiel gute Noten in Mathematik und Deutsch sowie Pünktlichkeit und Durchhaltewille. Haben die Klagen weiter ihre Berechtigung?

Bartl-Zorn Als wir die Ausbildungsverantwortlichen im Rahmen unserer Ausbildungsumfrage im vergangenen Jahr dazu befragten, bestätigten sie ihre Erfahrungen der letzten Jahre. Sie gaben zum Beispiel an, dass eine große Zahl an Bewerbern nicht mal über ausreichende Grundkenntnis in Mathematik sowie mündlichen und schriftlichen Ausdrucksvermögens verfügen würde. Die Verantwortlichen beschreiben auch Mängel bei den weichen Faktoren wie: Disziplin, Belastbarkeit, Leistungsbereitschaft und Motivation, Umgangsformen, Interesse und Aufgeschlossenheit.

Die Zahl der Unternehmen im Bergischen, die ausbilden nimmt ab. Kann sich die Wirtschaft das leisten?

Bartl-Zorn Diese Entwicklung betrachten wir mit Sorge. Denn ein Mittel der Fachkräftesicherung ist die Ausbildung im eigenen Betrieb. Diese sollten die Unternehmen nutzen.

Es gibt viele Hilfen und Förderprogramme, um Jugendlichen den Übergang von Schule und Beruf zu erleichtern. Ist dieser Einsatz erfolgreich?

Bartl-Zorn Sehr erfolgreich sind die Einstiegqualifizierungen. Sie sind eine gute Möglichkeit für Jugendliche und Betrieb sich kennenzulernen. Zwei Drittel derer, die eine Einstiegsqualifizierung absolviert haben, beginnen danach direkt eine Ausbildung.

Es gibt mehr freie Ausbildungsstellen als Bewerber. Warum gibt es dann immer noch Jugendliche ohne Lehrstelle?

Bartl-Zorn Die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze ist gestiegen. Daher haben die Bewerber viel mehr Auswahl auf dem Ausbildungsmarkt. Aber oft passen die Ausbildungswünsche der Bewerber nicht mit den angebotenen Ausbildungsplätzen überein. So entsteht das Phänomen, dass zum einen die Jugendlichen ohne Lehrstellen, aber auch Ausbildungsplatzangebote unbesetzt bleiben. Die TOP 10 der Ausbildungsberufe ist seit vielen Jahren gleich. So wollen die meisten Jungen immer noch Kfz-Mechatroniker und die Mädchen medizinische Fachangestellte werden. Dabei kann man im Bergischen Städtedreieck fast 160 IHK-Ausbildungsberufe erlernen. Wir appellieren daher an die Bewerber diese zahlreichen Angebote und Möglichkeiten zu nutzen.

Haben es die Mädchen auf dem Ausbildungsmarkt leichter als die Jungen, weil sie einfach im Durchschnitt besser in der Schule sind?

Bartl-Zorn Die Interessen an Berufen sind von Jungen und Mädchen sehr unterschiedlich. Aber solch eine Tendenz kann ich nicht beobachten. Es kommt immer darauf an, ob man zusammenpasst.

Wie wird sich der Lehrstellenmarkt in den nächsten fünf Jahren entwickeln?

Bartl-Zorn Ich gehe davon aus, dass die Zahl der Ausbildungsplatzangebote weiter steigen wird. Aufgrund der Demografie werden die Bewerberzahlen sinken. So wird sich der Ausbildungsmarkt zu einem Markt für Bewerber entwickeln.

Welche Berufe haben Zukunft? Von welchen würden Sie abraten?

Bartl-Zorn Gerade ein zeitgemäßes Online-Angebot ist für die meisten Betriebe heutzutage ein wichtiger Baustein des unternehmerischen Erfolges. Um auf diese Herausforderung mit dem passend ausgebildeten Fachkräftenachwuchs reagieren zu können, ist der neue Ausbildungsberuf Kaufmann/-frau im E-Commerce geschaffen worden. Diese neue Ausbildungsmöglichkeit kann branchenübergreifend von Unternehmen genutzt werden, die ihre Angebote ausschließlich oder teilweise online vertreiben.

Die Auszubildenden erlernen in der dreijährigen Ausbildung unter anderem die Nutzung der unterschiedlichen Vertriebskanäle des E-Commerce, die Maßnahmen des Online-Marketings und die entsprechende Form der Kundenkommunikation. Die IHK bietet Beratung für interessierte Unternehmen und Bewerberinnen und Bewerber an. Ebenso führt sie am 8. Mai von 14-16 Uhr einen Vermittlungstag im BIZ der Agentur für Arbeit in Wuppertal (Hünefeldstraße 10a) durch, bei dem sich Bewerber direkt bei ausbildenden Unternehmen vorstellen können.

CHRISTIAN PEISELER FÜHRTE DAS INTERVIEW

(RP)
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