Sebastian Krämer in Remscheid „Ich schmiere mir keine Pomade ins Haar“

Chansonnier Sebastian Krämer über seine Arbeit, den Bezug zu den 1920er-Jahren und wie viel Licht im Verfall steckt.

 Der vielfach ­ausgezeichnete Sebastian Krämer tritt am Donnerstag in der ­Remscheider Klosterkirche auf.

Der vielfach ­ausgezeichnete Sebastian Krämer tritt am Donnerstag in der ­Remscheider Klosterkirche auf.

Foto: Christian Biadacz

Herr Krämer, wie abgründig sind Ihre „Vergnügten Elegien“?

Sebastian Krämer Das merkt man erst, wenn man hineingefallen ist. Jedenfalls ist es nicht Amt des Autors, solche Abgründe zwecks Erhebung ihrer Metrik vorab abzuschreiten. Manchmal sind die Lieder geradezu prophetisch, auf mich selbst gemünzt, aber auf mich zu einem viel späteren Zeitpunkt, als ich sie geschrieben habe.

Wie wichtig ist Ihnen der Blick durch die Brille, in der sich sowohl Glanz als auch Verfall zu spiegeln scheinen?

Krämer Es müssen nicht zwangsläufig Glanz und Verfall sein, aber wer in dem, was er anblickt, nicht verschiedene widerstreitende Aspekte erkennt, hat es überhaupt nicht gesehen. Die Widersprüche sind in den Dingen, lehrt die Dialektik. Sie sind aber auch im Betrachter.

Elegien haben meist klagende, traurige Themen zum Inhalt – wieviel Licht gibt es bei Ihnen?

Krämer Ach, auch eine Menge. „Der Buchleser“ ist ein recht lichter, geradezu aufklärerischer Beitrag, „Erlaubte Liebe“ kokettiert nur mit dem Gestus der Klage, ist aber eigentlich eine Hymne. Und dann nehmen Sie mein Lied übers Planetarium, es besingt Licht in seiner schönsten Form: in zarter Dosierung bei überwiegender Dunkelheit.

Ihre Themen sind gleichsam neu und alt. Wenn Sie Ihre Arbeit übertiteln müssten – wie sähe das aus?

Krämer Aber sie hat doch schon einen Titel!

Welchen Themen würden Sie sich nicht oder nur ungern widmen?

Krämer Aus allem Tagespolitischen.

Manches klingt nach dem Berlin der 1920er Jahr, was gerade ja en Vogue ist. Welchen Einfluss hat diese Zeit auf Ihre Arbeit?

Krämer Zunächst wohl ist ein solcher Einfluss durch ihre Vertreter Friedrich Holländer, Otto Reuter und Bertolt Brecht zu verzeichnen. Vor allem aber hat die Zeit auf noch stärkere Vorbilder von mir gewirkt, also Wirkung über Bande; da wären wir bei Georg Kreisler und Christof Stählin. Das ist eigentlich alles. Planvoll suche ich selten den Spirit der 1920er, es geht mir nicht um historisierende Nachahmung, ich schmiere mir keine Pomade ins Haar.

Auf Ihrem neuen Album werden Sie vom Metropolis Orchester Berlin unterstützt. Wie präsentieren Sie sich in der Klosterkirche?

Krämer Das Orchester wird hier einzig – aber würdig – durch seine Klarinettistin Tanja-Maria Hirschmüller vertreten, die mich begleitet.

Was war die Herausforderung, Chansons mit einem Orchester aufzunehmen?

Krämer Das war ja mal eine Selbstverständlichkeit. Die klassischen Vertreter der Zunft haben es auch nicht anders gemacht. Um nochmal auf die 1920er zurückzukommen: Da hatte ja noch jedes größere Kino seine eigene Kapelle. Und dieser Tradition fühlt sich nun auch gerade das Metropolis-Orchester verpflichtet. Mich hat außerdem gereizt, sinfonische Möglichkeiten auszuloten. Das Lied „Dolo“ zum Beispiel ist – zumindest auf dem Album – gleichzeitig ein halbes Violinkonzert und ein Oratorium.

Wieviel Aufmerksamkeit wünschen Sie sich von einem Publikum?

Krämer Meinen Sie, der Wunsch nach Aufmerksamkeit eines Künstlers ist nach oben begrenzt? Dagegen spricht seine Eitelkeit. Ich wünsche meinen Liedern alle nur erdenkliche Beachtung. Aber wir haben Zeit. Weil man sie öfter anhören kann, ist neben dem Konzertbesuch der Kauf einer Platte zu empfehlen…

Sind Sie schon einmal auf ein Publikum gestoßen, das mit Ihrer Kunst nichts anfangen konnte?

Krämer Sicherlich. Man kann ja nicht einerseits auf Sonderbarkeit und Abseitiges Wert legen, andererseits aber davon ausgehen, dass allen immer gefällt, was man macht.

Wie intellektuell darf oder muss Kleinkunst sein?

Krämer Sie darf immer und muss überhaupt nicht. Außer in Kinderliedern. Da fordere ich entschieden mehr schwierige Fremdwörter und Anspielungen auf Mythologie und Philosophiegeschichte. Der Intellekt muss sich beim Rezipienten zeigen. Oder besser: Gute Kleinkunst ist solche, die auch ein intellektuelles Publikum nicht langweilt.

Und wie politisch?

Krämer Wenn mit „politisch“ politische Bildung gemeint ist, dann darf sie gerne. Meist jedoch geht es dem politischen Kleinkünstler nur ums Statement, Standortbestimmung, Lagerbekenntnis oder schlicht Propaganda. Das ist vor allem aus ästhetischen Gründen abzulehnen, nicht aus politischen. Anders gesagt: Wenn Sie radikalen Ästhetizismus als politischen Standpunkt gelten lassen, dann bin auch ich in meinen Liedern politisch.

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