Interview Martin Rogalla Eine Auszeit für Körper und Geist

Remscheid · Martin Rogalla, evangelischer Pfarrer in der Stadtkirche am Markt, spricht im Interview unter anderem über die Fastenzeit.

 Seit Juli 2001 wirkt Martin Rogalla als Citypfarrer in der Stadtkirche am Markt.

Seit Juli 2001 wirkt Martin Rogalla als Citypfarrer in der Stadtkirche am Markt.

Foto: Meuter, Peter (pm)

Viele verzichten nach Karneval und mit Beginn der Fastenzeit auf Alkohol, verkneifen sich die Süßigkeiten. Ist diese Art des Fastens im Sinne des Glaubens oder eher der Versuch einer Diät? Wie sinnvoll ist dieser Verzicht im Namen des Glaubens?

Rogalla In der evangelischen Kirche sprechen wir weniger von der beginnenden Fastenzeit als vielmehr von der Passionszeit. Beides meint eine 40-tägige Vorbereitungszeit auf Ostern, die mit dem Aschermittwoch beginnt. In der alten Kirche war das Fasten, also der Verzicht auf Fleisch, Milchprodukten, Süßigkeiten und Alkohol, fester Bestandteil des religiösen Lebens. In den reformatorischen Kirchen wurde den traditionellen Fastenzeiten vor den großen kirchlichen Festen lange Zeit wenig Beachtung geschenkt. Erst in den 1980er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist das ein Stück weit wiederentdeckt worden. Unter dem Motto „7 Wochen Ohne“ ist das gemeinsame Fasten heute auch in evangelischen Kreisen wieder vielen vertraut. Die Passionszeit wird in evangelischen Gemeinden heute unter anderem dazu genutzt, sich bewusst liebgewonnener Gewohnheiten zu enthalten, auf Überflüssiges zu verzichten, um sich so auf wesentliche Dinge unseres Leben zu konzentrieren.

Verstehen Sie die Passionszeit eher als Zeit des Verzichts oder als Zeit der Rückbesinnung?

Rogalla Ich würde das nicht Zeit der Rückbesinnung oder Zeit des Verzichts nennen, sondern lieber Besinnungszeit. Christinnen und Christen fragen sich in diesen Tagen besonders intensiv, worauf es ihnen im Leben tatsächlich ankommt. So zum Beispiel auf die Erkenntnis, dass wir alle Geschöpfe Gottes sind und nicht Schöpfer, dass unser Leben aus Gottes Hand kommt und zu Gott zurückkehrt und unser Glück nicht abhängig ist von bestimmten Gütern, Genussmitteln oder gar Rauschmitteln. Die Kirchen bieten in diesen Wochen verstärkt geistliche Angebote an, um sich von alltäglichen Abhängigkeiten zu befreien. Denn etliche Mitbürgerinnen und Mitbürger wollen sich in der Passionszeit heute eine freiwillige und bewusste Auszeit für Körper und Geist nehmen.

Welche Bedeutung nimmt die Passionszeit in unserer heutigen Gesellschaft überhaupt ein?

Rogalla Das ist schwierig zu beantworten. Klassische Angebote wie Passionsandachten werden im städtischen Kontext heute weniger nachgefragt als noch vor 30 Jahren. Früher war es in Remscheid üblich, dass jede evangelische Kirchengemeinde an allen Predigtstätten Passionsandachten angeboten hat. Das ist heute nicht mehr so. Dagegen werden alternative Angebote, wie die Aktion „7 Wochen Ohne“ verstärkt nachgefragt und zwar nicht nur von Protestanten, sondern auch von Menschen anderer Konfessionen und nicht kirchlich gebundenen Mitbürgern.

Die Aktion „7 Wochen Ohne“ steht in diesem Jahr unter dem Motto „Lügen“, also „7 Wochen ohne Lügen“. Was hat es damit auf sich?

Rogalla Die Fastenaktion „7 Wochen Ohne“ der evangelischen Kirche nimmt gerne aktuelle Themen auf. Und das Lügen ist derzeit ja leider ein Dauerthema. Verbreitet sprechen wir in den sozialen Medien von „Fake News“, dem amtierenden amerikanischen Präsidenten werden täglich mehrfache Lügen nachgewiesen und aktuelle Statistiken zeigen auf, dass der Mensch bewusst oder unbewusst zwei bis
200 Mal am Tag lügt. Darauf sieben Wochen zu verzichten, ist eine schwierige Aufgabe und eine spannende Herausforderung, der sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der diesjährigen Aktion stellen wollen.

Die Passionszeit soll ähnlich wie die Adventszeit auf besondere Ereignisse vorbereiten – der Advent auf die Geburt Jesu, Ostern auf seinen Tod und die Auferstehung. In der Gesellschaft hat die Adventszeit durch den Konsum mittlerweile fast eine ganz andere Bedeutung. Gilt denn Ostern nach wie vor als Hochzeit in der christlichen Kirche?

Rogalla Auch in der Adventszeit wurde früher gefastet. Das ist heute kaum noch vorstellbar. Die Advents- und die vorösterliche Zeit sind Vorbereitungszeiten auf die zentralen kirchlichen Feste. Und selbstverständlich ist Ostern auch heute noch das wichtigste Fest aller Christen. Ursprünglich wurden die sieben Wochen vor Ostern von neuen Gemeindegliedern als Bußzeit zur Vorbereitung auf ihre Taufe genutzt. Denn die Osternacht und der Ostergottesdienst waren in der alten Kirche klassische Tauftermine. Auch bei uns in der Stadtkirchengemeinde, insbesondere im Bezirk Hasten, ist das heute häufig noch so, dass sich Menschen bewusst in der Osternacht taufen lassen oder die Taufe für ihre Kinder erbitten.

Wie wird die Zeit bis Ostern konkret in den evangelischen Kirchen in Remscheid begangen?

Rogalla Neben den sonntäglichen Gottesdiensten, in denen wir uns in den Gemeinden auf die Hochzeit des Kirchenjahres vorbereiten, bieten wir in Remscheid an drei evangelischen Predigtstätten regelmäßige Passionsandachten an. Zur Aktion „7 Wochen Ohne“ laden wir gemeinsam in die Auferstehungskirchengemeinde ein. Hier trifft sich eine Gruppe von interessierten Menschen wöchentlich für zwei Stunden, um unter dem aktuellen Motto die Aktion gemeinsam zu begehen und um sich gegenseitig zu stärken.

Wann finden die Andachten und Aktionen 2019 statt?

Rogalla Die Passionsandachten finden im Wechsel immer dienstags um 19 Uhr in der Luther- und der Pauluskirche (Hasten) und wöchentlich mittwochs um 18 Uhr in der Christuskirche an der Burger Straße statt. Zur Aktion „7 Wochen Ohne“ laden wir jeden Mittwoch vom 19 bis 21 Uhr ins Stadtteil- und Gemeindezentrum Esche ein. An Karfreitag findet wieder um
18 Uhr in der ev. Stadtkirche am Markt ein Karfreitagskonzert statt.

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