Erden Ankay-Nachtwein "Integration war noch nie einfach"
Remscheid · Die Vorsitzende des Integrationsausschusses sieht Remscheid auf einem guten Weg.
Frau Ankay-Nachtwein. Sie leben seit 1978 in Remscheid. Was hat ihnen bei der Integration damals geholfen?
Ankay-Nachwein Das Kollegium, und dann viele besondere Menschen haben mir geholfen, um in die Gesellschaft in Remscheid hineinzukommen. Zum Beispiel eine Kollegin, sie war an der Grundschule Mannesmann tätig und sagte, hier Freunde zu finden, das ist nicht so ganz einfach. Wenn du gewerkschaftlich interessiert bist, dann nehme ich dich mit. Somit kannst du aussuchen, mit wem du langfristig befreundet sein kannst. Als ich nach Remscheid kam, habe ich nicht sofort eine Wohnung bekommen. Die Familie Dr. Sawade hat mich aufgenommen. Ich durfte dort zwei Monate wohnen, bis ich eine Wohnung gefunden hatte. Sechs Monate später hat mich meine damalige Vermieterin zur Bergischen Kaffeetafel eingeladen. Und durch die Arbeit an der Schule gab es viele Möglichkeiten und Aufgaben, die mir halfen, mich hier einzuleben.
Sie wissen aus ihrem eigenen Leben, was Integration bedeutet, und haben durch ihre Arbeit mit türkischen Kindern an der Mannesmannschule beobachtet, was Integration im Alltag bedeutet. Und sie gestalten Integration als Politikerin und Gewerkschafterin. Wie bewerten Sie die Angebote zur Integration in Remscheid?
Ankay-Nachtwein Sie sind mittlerweile sehr vielfältig. Das fängt an mit Sprachkursen und reicht bis zur individuellen Betreuung, die viele Remscheider/innen ehrenamtlich leisten. In den letzten Jahren haben Intuitionen und freie Träger ihre Angebote erweitert. Das heißt natürlich nicht, dass wir uns nicht weiterhin bemühen sollten. Es bleibt immer viel zu tun. Am Anfang braucht es den einen oder anderen Kümmerer, der einem die Wege zeigt. Deshalb bemühen wir uns, gemeinsam mit den vielen Menschen, die zu uns kommen, das Leben zu erleichtern und angenehm zu gestalten.
Manchmal hat man aber den Eindruck, dass die vielen Angebote, die es seit Jahren gibt, nicht nachhaltig genug wirken. Immer noch stellen Migrationskinder die größte Gruppe mit schlechten Bildungsabschlüssen. Was läuft da schief?
Ankay-Nachtwein Als vor Jahren zu viele Angebote kamen - da ein Projekt, dort ein Büro - habe ich gemeint, diese Leuchttürme brauchen wir nicht. Wir brauchen kontinuierliche Wege, die alle Angebote sammeln und den Menschen zugute kommen lässt. Wir bemühen uns, vom Elementarbereich an die Eltern zu unterstützen, dass sie ihren Kindern helfen können. Die Förderung im Schulbereich muss für alle besser gestellt werden. Die weiterführenden Schulen bemühen sich auch sehr intensiv, dass die Kinder bessere Abschlüsse erreichen. In den letzten Jahren sind wir mit dem Kommunalen Integrationszentrum auf diesem Wege. Dass Jugendliche mit Migrationshintergrund immer noch schlechter gestellt sind, hat verschiedene Ursachen. Unter anderem müssen weiterhin die Eltern über das Schulsystem gut informiert werden. Da hapert es noch ordentlich. Mit dem Integrationsrat haben wir uns in einer zusätzlichen Sitzung mit der Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen beschäftigt und durch verschiedenen Institutionen Informationen bekommen. Wir müssen an dem Thema weiter arbeiten und hoffen, dass die neu gegründete Jugendberufsagentur uns dabei besser helfen wird.
Manchmal ist es aber schon überraschend, dass in den Kreisen, die der Integrationsrat vertritt, anscheinend grundsätzliche Informationen über das Jobcenter und viele andere Initiativen nicht bekannt sind.
Ankay-Nachtwein Das ist ein Problem. Und so bleiben zu viele Jugendliche irgendwo hängen. Alle bemühen sich. Aber manchen fehlt auch die Kraft, sich immer wieder auf dem Weg zu machen. Da braucht es Menschen, die die Jugendlichen an die Hand nehmen. Es ist mühsam, aber es lohnt sich am Ende. Wenn wir gute Beispiele, Vorbilder schaffen, dann kommen andere von sich aus. So etwas spricht sich schnell rum. Ich habe jetzt Hoffnung, dass wir mit den Migrantenselbstorganisationen eine Zusammenarbeit so auf die Beine stellen können, dass sie die Informationen weitergeben.
Würden Sie sagen, in Remscheid gibt es so etwas wie Parallelgesellschaften, Gruppen, die sich gar nicht integrieren wollen?
Ankay-Nachtwein So eine Gruppe habe ich bis heute nicht kennengelernt. Ich habe als Grundschullehrerin noch nie ein Kind kennengelernt, das nicht lernen wollte. Ich habe keine Familie kennengelernt, die gesagt hat, Deutschland ist mir egal. Alle bemühen sich, nur die Wege sind manchmal unbekannt und schwierig. Und manchmal ist die Hemmschwelle zu hoch.
Es gibt seit langem für türkische Familien Elternkurse, die den Wert von Erziehung vermitteln. Ich das ein fruchtbares Angebot?
Ankay-Nachtwein Wir haben vergangenen Donnerstag mit 150 Gästen 25 Jahre Elternkurse gefeiert. Wir haben zurzeit in zehn Kindergärten diese Kurse und in zwei Grundschulen. Das hat viel gebracht. Die Eltern sind bildungsbewusster geworden. Sie wollen alle, dass es ihre Kinder besser haben als sie. Aber sie kennen das Bildungssystem nicht. Ein Beispiel: Die Familie hatte zwei Kinder, der Junge sollte zur Hauptschule, das Mädchen auf die Realschule. Der Vater sagte aber, die Realschule sei doch viel zu weit weg, und es sei viel besser für die Familie, dass beide auf die Hauptschule gehen. Dem Vater war nicht bewusst, dass das Mädchen auf der Realschule bessere Chancen hat. Diese Entwicklungen haben uns zu der Einsicht bewegt: Wir können das Schulsystem nicht ändern, aber den Eltern helfen, dass sie damit zurechtkommen. Und wenn man heute sieht, wie viele Kinder einen Abschluss auf der Gesamtschule oder dem Gymnasium und weiteren Schulen erreichen, dann sieht man den Erfolg. Es ist erfreulich, dass so viele Jugendliche es schaffen.
Nach dem Verfassungsreferendum für Erdogan gab es in Remscheid aggressive Demonstrationen vor dem alevitischen Gemeindehaus. Wäre es nicht nötig, dass der Integrationsrat mal deutlich gegen dieses Verhalten Stellung bezieht?
Ankay-Nachtwein. Ich habe das ja gemacht.
Sie als Vorsitzende, aber nicht der Integrationsrat.
Ankay-Nachtwein Man hat zu hohe Erwartungen an den Integrationsrat. In unserer Geschäftsordnung steht nicht, dass wir über Auslandspolitik beraten. Der Integrationsrat ist nicht dafür da, andere Gruppen zu disziplinieren. Sie müssen den Sitzungsrhythmus berücksichtigen. Deshalb habe ich in den letzten Monaten meistens als Vorsitzende reagiert. Ich kenne aber keinen Integrationsratsmitglied, die einer solchen Vorgehensweise zustimmt. Als Vorsitzende habe ich die Aufgabe, die Erwartungen der vielen Gruppen zu koordinieren. Im Integrationsrat sind sieben Listen und vier Fraktionen vertreten. Da bestimmen nicht zwei Leute, was die 21 anderen machen müssen. Das ist keine leichte Aufgabe. Aber Integrationsbemühungen waren noch nie einfach. Integration bleibt immer eine anspruchsvolle Arbeit.
Sollten nach Ihrer Meinung Bürger, die keinen deutschen Pass haben, bei Kommunalwahlen mitwählen dürfen? Wäre das ein Fortschritt?
Ankay-Nachtwein Das wäre ein Fortschritt. Es betrifft einen ganz geringen Bevölkerungsanteil. Wenn diese Menschen das Wahlrecht bekommen, würde es uns helfen, die Familien hier zu binden. Sie hätten das Gefühl, dass sie hier eingebunden sind. Und wer einmal wählen kann, macht sich Gedanken darüber, wie es weitergeht. Davor braucht man keine Angst zu haben, denn diese Menschen wählen hier demokratische Parteien.
CHRISTIAN PEISELER FÜHRTE DAS GESPRÄCH