Remscheid Gewalt an Schulen - das sagen Experten

Remscheid · Kein Kind ist böse, will Gewalt ausüben. Es gibt ein Bündel an Ursachen. Schulpsychologen und Erziehungsberater helfen.

 Zwei Schüler sind in Streit geraten und treten aufeinander ein. Solche Aggressionen können ein Indiz dafür sein, dass in der Erziehung etwas schief läuft.

Zwei Schüler sind in Streit geraten und treten aufeinander ein. Solche Aggressionen können ein Indiz dafür sein, dass in der Erziehung etwas schief läuft.

Foto: Wolfram Steinberg

Ein Grundschüler rastet im Unterricht aus. Er beschimpft die Lehrerin, spuckt und tritt. Solche Szenen beschrieben Lehrerinnen bei einer Versammlung der GEW aus ihrem Schulalltag. Kinder überschritten öfter Grenzen, beklagen sie. Es fehle vielen an Respekt, berichtete auch Jürgen Gottmann, bis vor kurzem Vorsitzender der Lehrergewerkschaft GEW. Schule werde manchmal zur Kampfzone. Sind diese Kinder böse, oder einfach nur schlecht erzogen?

 Hannah Arendt und Michael Scharmann beraten als Psychologen bei der Stadt Lehrer und Eltern. Dabei spielen auch Gewaltprobleme eine Rolle.

Hannah Arendt und Michael Scharmann beraten als Psychologen bei der Stadt Lehrer und Eltern. Dabei spielen auch Gewaltprobleme eine Rolle.

Foto: Moll, Jürgen (jumo)

Viele Lehrer empfehlen den Eltern nach solchen Vorfällen, sich an die Psychologische Beratungsstelle der Stadt zu wenden. Die Experten - dazu gehören auch Schulpsychologin Hannah Arendt und ihr Kollege von der Erziehungsberatung, Michael Scharmann -, wissen, dass hinter Wutausbrüchen ein ganzes Bündel als Ursachen stecken kann. Mit dem Problem "Gewalt gegen Lehrer" werden sie zwar konfrontiert. Von zunehmender Gewaltbereitschaft in Remscheids Grundschulen wollen sie jedoch nicht sprechen. "Wir stellen aber fest, dass alle über mehr Stress und Hektik klagen, auch die Kinder", berichtet Arendt. Der Tag des Kindes ist verplant. Anders als früher fehlen Freiräume. "Wir haben uns als Kinder noch im Wald ausgetobt", erinnert Scharmann.

Generell wolle kein Kind gewalttätig sein. Der Tritt, die Beleidigung seien eher ein Indiz, dass etwas schief läuft. Es sei ein Hilfeschrei des Kindes. "Da sitzt ein Junge vor mir und sagt: ,Eigentlich möchte ich doch ganz doll lieb sein'", sagt der Psychologe.

Gewalt könne auch ein Zeichen sein, dass Eltern mit der Erziehungsaufgabe überfordert, Kinder seelisch belastet sind oder unter einer schwierigen familiären Situation leiden.

Welche Ursachen stecken sonst hinter Gewalt von Kindern? Auslöser können sein: Ein Kind fühlt sich falsch behandelt, verarbeitet alles ich-bezogen. Die Frustrationstoleranz ist sehr niedrig. Manche Kinder nehmen ihre eigenen Emotionen nicht ausreichend wahr und können daher die Emotionen anderer nicht einschätzen. Es kann die Impulskontrolle fehlen oder an sozialer Kompetenz mangeln. Oftmals geht es auch darum, dass klare Grenzen und Regeln fehlen.

Wie beginnt die Hilfe durch externe Experten? Der erste Schritt ist getan, wenn Eltern Unterstützung bei der Psychologischen Beratungsstelle suchen. Gezwungen, externe Hilfe anzunehmen, werde niemand. Denn nur wenn Lehrer, Eltern und Psychologen gemeinsam vertrauensvoll zusammenarbeiten, greife die Hilfe auch, sagen die Psychologen.

Wie gelingt diese Kooperation? Die Basis dafür schaffen die Psychologen mit einem einfach klingenden Rezept. "Wir schauen nach dem Positiven, fragen, wo der elterliche Einfluss gut ist. Es geht nicht um Schuldzuweisungen", erklärt Arendt. "Also, was läuft gut zwischen Lehrern und Schülern, zwischen Eltern und Kind? Aber auch, welche Hilfen brauchen die Kinder?" Nach dem Erstgespräch setzt sich Hannah Arendt oft in den Unterricht - das Einverständnis der Eltern vorausgesetzt -, ohne dass die Kinder wissen, in welcher Funktion der Gast auftritt. Danach sprechen Eltern und Lehrer mit den Schulpsychologen über das Geschehen im Klassenzimmer. Geklärt wird, welche Hilfen gewünscht sind und ob auch die Erziehungsberatung hinzugezogen werden soll.

Im weiteren Verlauf werden kleine Arbeitsaufträge vereinbart und die Erfolge später geprüft. Ein Beispiel: der Belohnungsaufschub. Das Kind soll lernen, abzuwarten - im Unterricht, bis es an der Reihe ist, oder zu Hause, bis es die Eltern ausreden lässt.

Wie stellt man fest, wo es hakt? In den ausführlichen Gesprächen und bei Unterrichtsbesuchen. Aber auch mittels einer Aggressionsdiagnostik prüfen die Psychologen zum Beispiel, ob das Kind beispielsweise im emotionalen Bereich verhaltensauffällig ist.

Welche Methoden gibt es, diese Schwächen zu beheben?

Ein Programm mit dem Titel "Magic Circle" helfe, die Selbstwahrnehmung des Kindes zu schärfen. Wie beim Morgenkreis in der Kita beschreiben die Schüler in morgendlicher Runde: Worauf bin ich stolz? Wann hatte ich mal ein gutes Gefühl? Wann hatte ich mal einen schlechten Tag? Der Effekt dabei: Die Kinder nehmen ihre Gefühle und die Gefühle anderer besser wahr.

Regeln setzen - das ist ein Dauerbrenner in der Erziehung. Wo hakt's? "Regeln sind nur sinnvoll mit Konsequenzen", sagt Michael Scharmann. Beispiel: Um 18 Uhr wird zu Abend gegessen, das ist die Regel. Das Kind erscheint nicht, die Konsequenz: Der Tisch wird abgeräumt - ohne Schimpfen oder Diskutieren. Bleibt der Regelverstoß ohne Folgen, wirken sie nicht. Kinder testen Grenzen aus. Was den Psychologen auffällt, ist, dass manche Eltern die Regeln bis ins Letzte erklären und mit den Kindern ausdiskutieren - und tappen dabei in die Falle. Manche Regeln sind einfach gesetzt - wie das pünktliche Abendessen oder andere ausreden zu lassen.

(RP)
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