Remscheid Freitag trifft Strauß und Brandt im Altenheim

Remscheid · Der Kabarretist zeigte ein "Best of" aus seinen 40 Jahren auf der Bühne. In der Klosterkirche überzeugte er mit seinen Politikerparodien.

 Thomas Freitag im Beichtstuhl. Bei ihm spricht der Pfarrer mehr als der vermeidliche Sünder.

Thomas Freitag im Beichtstuhl. Bei ihm spricht der Pfarrer mehr als der vermeidliche Sünder.

Foto: Jürgen Moll

Das ist schon ein Wahnsinn mit Deutschland. "Dauernd will dieser Staat etwas von mir", spricht Thomas Freitag vielen Bürgern aus der Seele. Formulare von der Wiege bis zur Bahre, da ist es kein Wunder, dass man schon mal kurz den Überblick verlieren kann und der 105-Jährigen aus Böblingen ein Einschulungsbescheid übermittelt wird.

Das Rentenalter geht auch an einem der bekanntesten politischen Kabarettisten der Republik nicht vorüber. 1950 geboren, trägt sich der eloquente Sprachkünstler mit dem Gedanken an den Ruhestand und gibt zum 40-jährigen Bühnenjubiläum ein "Best of".

Das fand in der Klosterkirche großen Anklang. Kabarettprofi und Publikum in großer Zahl trafen sich am Donnerstagabend trotz Wintereinbruchs zum launigen Stelldichein in Lenneps Kulturzentrum. Spitzzüngig und scharfsinnig wie eh und je legte Freitag den Finger in die Wunde von allzu viel Bürokratie, farb- und geistlosen Politikern und Missständen in Gesellschaft und Kirche.

Auch wenn es sich bei seinem Programm um eine Jubiläumsedition handelt, haben seine Analysen nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Im Beichtstuhl spricht sich nicht der vermeintliche Sünder, sondern der Pfarrer mal so richtig aus, und dass die von der "Kampfdrohne aus Hannover" geforderte Symbiose von Kinderfreundlichkeit in der Bundeswehr und mehr Auslandseinsätzen ein Widerspruch ist, versteht sich von selbst.

"Sollen wir demnächst Legoland bombardieren", richtet der Bühnenprofi ratlos die Frage an "Röschen" von der Leyen. Roland Pofalla als neuer Bahnvorstand interessierte sich allenfalls für den Schotter in den Gleisen, und Angela Merkel ist "`ne nette Frau. Aber was macht die eigentlich beruflich?", spricht Freitag den Wankelmut in den Entscheidungen der Kanzlerin an. Wie kann man für mehr Bildung plädieren und dann die Stadtteilbibliotheken schließen, und was würde passieren, wenn Friedrich Schiller seine "Räuber" heute einem Verlag anböte? "Die Geschichte würde in Rosamunde Pilchers Cornwall verlegt und ein Burnout müsste unbedingt vorkommen." Da kann einem ums Bildungsland Deutschland schon mal angst und bange werden. Wenn Thomas Freitag als Frittenbudenbesitzer in die Schürze mit den Fettspuren von 40 Jahren schlüpft und dabei seinen Verdruss über die neue Esskultur zum Ausdruck bringt, kann er seine Wurzeln als Schauspieler nicht leugnen. Und natürlich fehlen seine genialen Parodien der politischen Klasse der 1960er und 70er Jahre nicht. Wenn Herbert Wehner, Franz-Josef Strauß und Willy Brandt im Altenheim eine WG bilden, hat das einen Charme, dem die gelackten Politprofis von heute nicht das Wasser reichen können.

Die leisen, nachdenklichen Momente seines Auftritts bilden immer mal wieder eine Zäsur, die das Auditorium spürbar fesselt. "Kann man auf Dauer eine Demokratie erhalten, in der ein Drittel der Bevölkerung immer reicher und ein Drittel immer ärmer wird?", bringt er eine gefährliche Entwicklung auf den Punkt. Fazit: Ein Abend mit Witz und Klasse, der das Prädikat "empfehlenswert" absolut verdient hat.

(bona)
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