Remscheid Faust - ein Bruder von David Bowie

Remscheid · Im ausverkauften Teo Otto Theater zeigte die Burghofbühne Dinslaken Goethes Tragödie. Ein Abend mit Höhen und Tiefen.

 Das Ensemble der Burghofbühne Dinslaken wusste bei seiner Aufführung von Goethes Tragödie in Remscheid nur in einigen Facetten zu überzeugen.

Das Ensemble der Burghofbühne Dinslaken wusste bei seiner Aufführung von Goethes Tragödie in Remscheid nur in einigen Facetten zu überzeugen.

Foto: Teo Otto Theater

Drei Mal beginnt Friedericke Bellstedt die Verse "Habe nun, ach!". Immer wieder verlässt sie die Studierstube, um einen neuen Anlauf in Goethes "Faust" zu nehmen, in diesen Urtext der deutschen Literaturgeschichte. Zunächst färbt sie die Zeilen mit leichter Ironie, anschließend lädt sie sie mit Pathos auf. Im dritten, letzten Versuch spricht sie die Worte mit banger Verzweiflung. Faust, der existentiell Verlorene. Faust, ein Gelehrter, den nichts mehr befriedigen kann auf dieser Welt. Faust, der Depressive, der auf der Rückseite der Selbstüberschätzung kein Zuhause mehr findet. Bis die Wette mit dem Teufel ihn frisch zu neuen Leben erquickt.

Die drei Anläufe zu Beginn der Aufführung im Teo Otto Theater deuten an, dass es viele Spielarten gibt, sich dem Lebenslauf dieses Verbrechers zu nähern. Auch mit einer Frau in der Rolle des Faust. Wer sich der Magie ergibt, ekelhafte Süppchen von Hexen gierig in sich hineinschüttet, der kann auch die Geschlechtergrenzen verwischen. Faust ist bei Friederike Bellstedt ein androgyner Bruder von David Bowie. Eine sympathische Zweiflerin in schwarzem Anzug mit weißem Hemd, ein Intellektueller, der auf die falsche Bahn gerät.

Der Regisseur Matthias Fontheim und das Ensemble der Burghofbühne Dinslaken begegnen dem Text mit Respekt. Es wird wenig verdreht, pointiert, ausgestellt oder rund geschliffen. Manchmal ist es zu viel Respekt, manchmal wirkt es einfallslos, manchmal auch faszinierend und ergreifend. So sahen die Zuschauer im voll besetzen Haus (666 Karten verkauft) eine Aufführung, die an vielen Stellen überzeugte, aber dem großen Bogen der Tragödie kaum gewachsen war.Blut ist ein besonderer Saft. In der Erdgeistszene stürmt ein blutbeschmierter Nackter auf die Bühne und ringt Faust brutal nieder.

"Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir". Faust liegt am Boden, sein glänzend weißes Unterhemd ist voller Blutspuren. Ein feines Menetekel für seinen Weg vom Himmel durch die Erde zur Hölle. Das Bühnenbild reduziert sich einzig auf einen drehbaren weißen Guckkasten, in dem ein Tisch und ein Stuhl stehen. Rechts am Rand ein weiß gestrichener Baum, ohne Blätter. Ein Hinweis auf Beckett. Faust, ein Endspiel mit frevelhaftem Ausgang.

Mephisto trägt feine rote Schuhe, und seine Zähne schillern dunkelblau zwischen dem Vollbart. Der Sohn des Chaos treibt die Geschichte voran. Tilman Rose (früherer Schüler des Getrud-Bäumer-Gymnasiums) verleiht ihm Energie und böse Kraft. Aus dem Zuschauerraum kommentiert er frech das Verhalten seines Knechts, in der Studentenszene rappt er die Welt der Fakultätenweisheit in Grund und Boden, und den Fängen von Marthe Schwertlein kann er sich mit bester teuflischer Eleganz entziehen.

Man sieht ihn gern. Doch leider hetzt er doch zu häufig durch den Text, taucht selten hinab in die Dialektik der Verse. Er lässt zu sehr den Grobian heraushängen, anstatt mit seiner nihilistischen Weltsicht zu prunken.

Das Gretchen von Charlotte Will ist einer Enttäuschung. Vorhersehbar und der Dimension dieser Figur nicht gewachsen. Das Lied vom "König in Thule" - blass. Das Versinken der Kinder- und Muttermörderin in den Wahnsinn - bemüht. Auch wenn sie noch so viel Theaterblut auf der nackten Haut verreibt, die Szene fängt kein Feuer.

Das Licht im Zuschauerraum bleibt während der drei Stunden an. Eine Trennung zwischen Bühne und Parkett soll es nicht geben. Warum? Es erschließt sich nicht. Die Schauspieler verabschieden sich am Schluss vom Publikum wie bei der Begrüßung zu Beginn: per Handschlag. Eine rührende Geste.

(RP)
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