Analyse Die Vielfalt aus der Bittsteller-Ecke

Remscheid · Ansichtssache Das Angebot an kulturellen Veranstaltungen war nie so umfangreich wie heute. Das zeigt ein Blick auf die Herbstprogramme. Aber hinter den Kulissen sieht es bitter aus.

Kultur spielt im Wahlkampf keine Rolle, aber im Leben vieler Bürger. Ein Blick auf die Veranstaltungskalender der kulturellen Institutionen für den Herbst lässt auch den letzten Muffel verstummen, der immer wieder sagt, in Remscheid werde kulturell nicht viel geboten. Das sind Reaktionsmechanismen, die die Wirklichkeit aus den Augen verloren haben. Das Angebot an kulturellen Veranstaltungen war nie so umfangreich wie heute.

Es gibt große und kleine Termine, intime Veranstaltungen und massenwirksame Events. Humorvolles und Intellektuelles, Klassisches und Populäres. Museen zeigen mehr als nur ihre Sammlungen, die Kirchen bieten nicht nur im Lutherjahr die große Bandbreite geistlicher und klassischer Musik. Klosterkirche, Rotationstheater, das Westdeutsche Tourneetheater bedienen ein treues Stammpublikum, das Teo Otto Theater kann inzwischen wieder seinen bescheidenen Standard an Qualität halten. Es gibt Ausstellungsinitiativen wie in Honsberg und eine lebendige Singer-Songwriter-Szene, von Coverband-Auftritten mal ganz abgesehen. Und im nächsten Jahr soll eine neue Bühne am Markt hinzukommen und das Kino am Bahnhof eröffnen. Kulturell entwickelt sich Remscheid fast wieder zu einem Großstadtformat, möchte man meinen. Also ist mit der Kultur alles bestens?

Einerseits ja, andererseits nein. Hinter den Kulissen sieht es bitter aus. Keines der Kulturinstitute ist auf Rosen gebettet, alle haben einen festen Platz am Abgrund sicher. Es erstaunt immer wieder, wie es trotz vieler Misslichkeiten gelingt, ein vorzeigbares Programm zusammenzustellen. Das liegt vor allem an den Akteuren: bei kreativen Menschen gibt es oft einen Hang zur Selbstausbeutung. Das Fatale an dieser Situation ist nur, dass diese Form der Selbstausbeutung in der kulturpolitischen Debatte wie selbstverständlich eingepreist ist. Überlastungsanzeigen, wie sie der Personalrat bei der Stadtverwaltung entgegennimmt, gibt es in der Kulturszene nicht. Dabei kann es eigentlich keine zwei Meinungen darüber geben, dass der Kulturbereich chronisch unterfinanziert ist. Keine Besserung in Sicht.

Diese Unterfinanzierung führt zu absurden Situationen. Zum Beispiel im Röntgen-Museum. Mit dem Namen des Nobelpreisträgers rühmt sich die Stadt gerne. Stolz ist man auf das Röntgenlabor (RöLab), das ausschließlich mit Spendengeldern (über 300.000 Euro) finanziert wurde. Nun steht ein exzellenter Lernort in Lennep zur Verfügung, nur er funktioniert nicht richtig, weil schlicht das Geld für einen Laborleiter fehlt. Kultur ist eine freiwillige Aufgabe. Pech gehabt.

Zu diesem Pech kommt noch das Unglück hinzu, dass die Mehrheit der Ratsmitglieder sich für Kultur nicht interessiert. Stattdessen bemüht man sich lieber darum, fünf Stellen bei der Schulsozialarbeit mit zusätzlichen 250.000 Euro aus der Stadtkasse zu finanzieren. Diese Kosten übernimmt die Kommune freiwillig, denn sie springt für den Bund ein, das sich aus der Finanzierung der befristeten Sozialarbeiterstellen zurückzieht. Im Sozialbereich findet man in Remscheid schnell Wege, um freiwillige Aufgaben zu bezahlen. Das üppige soziale Netzwerk verfügt über reißfeste Seile bis in die Rathausspitze. Die Kultur steht aber schnell in der Bittstellerecke. Das ist das eigentliche Dilemma, in der sich die Remscheider Kultur befindet. Und es ist nicht zu erkennen, dass sich daran etwas ändert. Oder?

(RP)
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