Remscheid Boogie Woogie - Musiker traktieren das Piano

Remscheid · Boogie Woogie? Kennst du ein Stück, kennst du alle. So lautet das gängige Vorurteil über diese "urzeitliche" Bluesmusik, die nach immer dem gleichen Bluesschema ein für herkömmliche Zuhörer wahnsinniger Pianist einem malträtierten Klavier entlockt. Mit der linken Hand stets am messerscharfen Grat des von der Tastatur beinahe herunterrollenden, rasenden Basslaufes zirkulierend hämmert die rechte Hand völlig asynchron galoppierende Läufe, pulsierenden Akkorde mit vertrackten Auflösungen und Klingeling-Fanale in der Septime bis zu den höchsten Tönen. Diese Musik fließt von den Ohren direkt ins Blut und infiziert jedes Körperteil. Gut zu erkennen am Freitagabend im Rotationstheater.

Boogie Woogie Urgestein Jörg Hegemann präsentierte den Wiesbadener Pianisten Michael van den Valentyn - einen der vielseitigsten Interpreten der neuen Generation des "Early Jazz Pianos" (van den Valentyn). Er machte in der ersten Hälfte einen spektakulären Solo-Streifzug durch Ragtime, New-Orleans- und Swing-Piano bis zum Boogie Woogie. Er ließ sich nicht lumpen und bewies eindrucksvoll, dass er es kann. Damit waren Bühnenboden und Klavier durch seinen rechten Fuß und seine hämmernden Hände warm für den zweiten Teil des Abends. War das Klavier jetzt zu bemitleiden oder zu beneiden? Hegemann haute virtuos drauflos, als ginge es um sein Leben. Besucher Wolfgang Berg aus Wermelskirchen zitierte spontan in einer Atempause Hegemanns, bei der er sich zum wiederholten Male rinnende Schweißströme vom Kopfe wischte, Wilhelm Buschs Gedicht über das gemarterte Klavier: "Der Virtuos stürzt darauf los ... Und rasend wild, das Herz erfüllt von mörderlicher Freude durchwühlt er dann ... des Opfers Eingeweide." Ja, so war's. Und es kam für das "arme Tier" noch schlimmer: Am Ende setzten sich Hegemann und van den Valentyn vor die Tastatur und entlockten, zweihändig, dreihändig, vierhändig, mal im Stehen, mal im Sitzen, mal über Kreuz, mal wechselseitig rechts und links, dem Klavier rollende Bässe und Wahnsinns-Läufe, irre Triller und Stakkatoakkorde. Jeder übertraf den anderen bis zum nächsten Takt. Das Publikum war hin und weg, Anfeuerungsrufe und Jubelpfiffe erfüllten immer wieder das Rotationstheater. Das Klavier - und vielleicht die Pianisten auch - werden noch eine Zeit lang Muskelkater haben.

(BG)
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