Ratingen Weitermachen – unbedingt

Düsseldorf · Ausverkauftes Haus, was auch sonst, beim Gastspiel von Kabarettist Dieter Hildebrandt im Stadttheater. 83 Jahre zählt der ehemalige Scheibenwischer, Lach- und Schießgesellschafter nun schon. Kompliment: Man merkt es kaum.

Ein Tisch, ein Stuhl, mehr Requisiten benötigt ein durchtrainierter Wortmensch und Mundarbeiter wie Dieter Hildebrandt nicht, um sein Publikum einzunehmen. Braucht keine zwei Minuten, um das Theater mit ersten Verbalfeuerwerken auf Temperatur zu bringen. Obligatorisch die lokale Vorlage: Was er denn in Ratingen mache, sei er am Nachmittag in der Fußgängerzone gefragt worden. "Wenn einer das so lange macht wie ich, kommt er irgendwann zwangsläufig nach Ratingen", pariert Hildebrand, nicht ohne Selbstironie. In einem Interview mit seinem Hausblatt – Süddeutsche Zeitung, Hildebrandt lebt im Münchner Stadtteil Waldperlach – entgegnete er jüngst noch auf die Frage, warum er sich mit 83 immer noch Tourneereisen zumute (da es am Pekuniären ja wohl kaum liegen könne): "Für Essen, Trinken und Wohnen krieg ich genug. Nur eines bekomme ich nicht: die Freude daran, auf die Menschen einzureden und mir von ihnen sagen zu lassen, ob das nun Unsinn ist, was ich erzähle, oder nicht."

Es rege ihn einfach immer noch sehr viel auf, vor allem, "dass sich niemand aufregt". Diese Lücke vermag Hildebrandt zuverlässig und sehr temperamentvoll zu schließen, seiner ungebrochenen Eloquenz und seinen mimischen Fähigkeiten sei Dank. Man weiß nicht so recht, was wirklich auf diesen Blättern steht, die vor ihm auf dem Tisch liegen und nach geheimen Prinzipien immer wieder neu geordnet, aufgerollt und wieder hingelegt werden. Ganz sicher aber ist, dass er ohne den geringsten Versprecher – außer natürlich den gewollten à la Verbrecherschutzministerin statt Verbraucherschutzministerin – zu Gedankenpirouetten ansetzt, kräftig abspringt, alles noch ein paarmal querdenkt, dreht und wendet, um dann mit traumwandlerischer Sicherheit Pointen zu landen, die Menschen (durchaus unterschiedlicher Altersstufen) hektisch zu Taschentüchern greifen lässt – Tränen lachen nennt man das. Insofern taugt Hildebrand, der langsam, aber sicher, zum großen alten Mann des Kabaretts wird (das ginge ihm jetzt runter wie Öl, ha), immer noch als Lehrmeister der rhetorischen Zuspitzung, die gern auch in den Niederungen des Daseins aufsetzt. "Die wissen wenigstens, was sie essen", sagt er über kakerlakenvertilgende Dschungelcamp-Bewohner und den Dioxinskandal. Gelegentliche Kalauer und Büttenredentaugliches sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier ein Vertreter des politischen Kabaretts am Werk ist, dem alle Parteien gleich, und zwar von gleicher Ziellosigkeit sind. Er stehe nicht mehr mit voller Sympathie hinter den Sozialdemokraten, ließ er neulich verlauten, kann aber auch anderen politischen Farben nicht viel abgewinnen, außer Pointen natürlich. Böse Pointen, kluge, gute. Besonders profitiert er von den Damen und Herren Merkel, von der Leyen, Schavan, Westerwelle, Brüderle, Pofalla und Gabriel. Schavan als Deutschlehrerin? "Dann wäre ich sofort Naturwissenschaftler geworden."

Am Ende noch ein bisschen Altersmelancholie: "Wenn ich aufhöre, was fange ich an?", fragt Hildebrandt. Dem Applaus nach zu urteilen: Am besten weitermachen. Unbedingt.

(RP)
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