Ratingen Was junge Ratinger sofort abreißen würden

Ratingen · Marlit Claußen und Alexander Seidl von der Kabarettgruppe "Westhäkchen" haben sich in der Innenstadt umgetan und dabei einige Schandflecken entdeckt. Ein Rundgang.

 Alex Seidl und Marlit Claußen haben die Weggucker der Innenstadt im Visier: Rechts der hässliche Zaun an der Rathaus-Baustelle, links das Hertie-Haus.

Alex Seidl und Marlit Claußen haben die Weggucker der Innenstadt im Visier: Rechts der hässliche Zaun an der Rathaus-Baustelle, links das Hertie-Haus.

Foto: Blazy, Achim (abz)

Zugegeben, Ratingen hat viele Baustellen - sowohl im eigentlichen als auch im übertragenen Sinne. "Da könnte man bestimmt Bücher drüber füllen", sagt Alexander Seidl, Mitglied der Westhäkchen und talentierter Nachwuchsmusiker. Ganz so viel Arbeit kommt da nicht auf ihn und Häkchen-Kollegin Marlit Claußen zu. Gemeinsam mit unserer Zeitung haben sie sich drei "Baustellen" in der Innenstadt ausgesucht, um einen - nicht immer ganz ernst gemeinten - Blick auf die kommenden Monate zu werfen: "Und das sowohl aus komödiantischer als auch aus jugendlicher Sicht", wie beide klarstellen.

Die Blicke der Passanten ziehen sie auf jeden Fall auf sich, als sie sich mit einem Mega-Vorschlaghammer und roten Baustellenhelmen ausgerüstet vor dem ehemaligen Hertiehaus positionieren: "Ein Schandfleck. Am besten sollte die Stadt es kaufen und abreißen. Wir könnten den Anfang machen", sagt Seidl und schultert den schweren Hammer - natürlich vorschriftsmäßig ausgestattet mit einem Helm. Sonst gäbe es noch Ärger mit dem Arbeitsschutz. Aber vielleicht ist's doch besser, den hässlichen Klotz am Eingang der Innenstadt stehen zu lassen?

"Naja, das wäre schon ein idealer Standort für einen Elektronikmarkt oder eine Paintball-Arena", findet der 16-Jährige. "Oder überhaupt etwas für junge Leute", ergänzt Marlit, die im Frühjahr ihr Abitur macht. Denn davon gäbe es in der Stadt viel zu wenig: "Die Geschäfte hier sind in der Regel eher für ältere Leute ausgelegt. Für uns jüngere ist es hier echt schwer, etwas zu finden. Da lohnt sich der Weg in die Innenstadt kaum." Und Alex - gern gehörter Gitarrist - hat gleich die nächste Idee: "Wenn wir schon am Planen sind, wäre ich für einen großen Fachhandel für Musikbedarf. Es kann ja nicht sein, dass es in einer der 100 größten deutschen Städte nur ein Musikgeschäft gibt", schimpft er. Eine der 100 größten Städte? Ratingen? "Das hat neulich noch in der Zeitung gestanden", erwidert Alex schmunzelnd. Stimmt, hatte doch CDU-Chef David Lüngen das einst in einer seiner Reden gesagt. Sei es drum, der Abriss des Hertie-Hauses ist erst einmal zu den Akten gelegt - nicht zu finanzieren. Im Gegensatz zur nächsten Baustelle, die bloß ein paar Meter weiter auf die beiden Westhäkchen wartet. Man ahnt es schon, das Rathaus. Oder besser gesagt eher das, was davon übrig ist. "Da kann man ja gar nix sehen", ärgern sich die beiden Teenager. Der große unansehnliche Bauzaun verhindert ein Blick auf das Grundstück. In Berlin half einst Sowjet-Präsident Michail Gorbatschow eine Mauer einzureißen. Aber wer wird's hier tun? Bürgermeister Klaus Pesch? Oder die gesamte Bürger-Union, wenn sie bei der nächsten Wahl das Rathaus für sich einnehmen will? "Nee, das geht doch gar nicht. Bei der nächsten Wahl ist das Ding doch schon weg", machen die beiden Westhäkchen klar. Ob sie da mal nicht zu optimistisch sind? Den ersten Versuch, die Ratinger Mauer zu übersteigen wagen sie aber - zumindest für den Fotografen. Was erwartet man, dass ein strenger Grenzsoldat daher kommt. Aber nichts passiert - außer einer schlechten Aussicht von der Zaunkrone aus: "Eine Grünanlage hier, vielleicht ein Skaterpark, das wären doch gute Ideen", schlagen die Jugendlichen vor - vielleicht auch ein Areal zum Paintball spielen. Dann würden Politikerkämpfe demnächst an dieser Stelle nicht bloß mehr verbal ausgetragen. Und dann wäre da noch die Lintorfer Straße - endlich mal eine Baustelle im übertragenen Sinne. Es ist wie an so vielen Orten im gesamten Stadtgebiet, ein leer stehendes Ladenlokal hat es den beiden angetan: "Hier ist bald wirklich nichts mehr los außer Friseuren, Handyläden und Bäckereien", schimpfen die beiden und haben wieder einen frommen Wunsch, der anfangs schon einmal aufkam: "Ein Modeladen für junge Leute muss her." Aber bis sich dieser Wunsch erfüllt, passen die beiden wohl schon in eine andere Zielgruppe des Handels. "Aber vielleicht bringt das neue Jahr doch ein paar Überraschungen." Hoffen wir's mal - und vor allem, dass sie positiv sind.

(RP)
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