Ratingen Unglücklich nach der Geburt

Ratingen · Nach der Geburt eines Kindes erkranken viele Frauen an einer Wochenbettdepression. Obwohl die Heilungschancen gut sind, wagen die meisten erst spät den Gang zum Arzt. Ein Tabu-Thema.

 Nach der Geburt eines Kindes erkranken viele Frauen an einer Wochenbettdepression.

Nach der Geburt eines Kindes erkranken viele Frauen an einer Wochenbettdepression.

Foto: AP, AP

Wenn sich statt der erwarteten Freude über das neun Monate lang ersehnte Baby Gleichgültigkeit breitmacht. Wenn man nach außen hin lächelt, obwohl man eigentlich weinen möchte. Wenn man, anstatt vor Mutterglück zu strotzen, von Schuldgefühlen geplagt wird, weil man sich als eine schlechte Mutter empfindet — dann kann es sein, dass frau an einer nachgeburtlichen Depression, auch Wochenbettdepression genannt, erkrankt ist. Obwohl 15 Prozent aller jungen Mütter — also etwa jede siebte Frau — daran erkranken, ist die Wochenbettdepression immer noch relativ wenig bekannt.

"Viele Frauen schieben ihre schwierige emotionale Lage auf ihre eigene Unzulänglichkeit, statt an eine Krankheit zu denken. Die Dunkelziffer ist vermutlich sehr hoch", sagt Anna Stockebrand, die in Ratingen als freiberufliche Hebamme tätig ist. Oftmals wird die Wochenbettdepression mit dem sogenannten "Baby-Blues" verwechselt, der auf die hormonelle Umstellung nach der Geburt zurückzuführen ist. Dabei handelt es sich nur um eine vorübergehende Verstimmung, die nach wenigen Tagen von selbst abklingt.

Vielfältige Ursachen

Die Depression ist gravierender und dauert länger an. Die Ursachen sind vielfältig: Ein problematisches Beziehungsgefüge, soziale Isolation, psychische Vorerkrankungen oder eine traumatische Geburt können als verstärkende Faktoren wirken. "Wenn die Frauen sich während der Geburt als ohnmächtig erleben und nur wenig Zuspruch erfahren, kann sich das schlecht auf die spätere Mutter-Kind-Beziehung auswirken, da die betreffenden Mütter schon während der Geburt das Gefühl haben, zu versagen", so Stockebrand.

Wünschenswert sei eine selbstbestimmte Geburt sowie möglichst wenig Fremdeinwirkung durch das Pflegepersonal auf der Wochenstation. "Wenn die Mutter sich über einen längeren Zeitraum traurig fühlt oder daran denkt, ihr Kind verletzen zu wollen, sollte sie das Gespräch mit ihrer Hebamme oder ihrem Arzt suchen. Diese können die Betroffene an die richtigen Stellen verweisen, wie zum Beispiel einen Psychiater oder einen Therapeuten", sagt die Hebamme.

Und: "Viele Frauen haben Angst, als Rabenmütter abgestempelt zu werden, wenn sie jemandem von ihren Gedanken, dem Baby etwas anzutun, erzählen. Diese Zwangsgedanken sind aber Teil des Krankheitsbildes; die Mutter trifft keine Schuld." Psychotherapie, Antidepressiva, aber auch mehr Verständnis und Unterstützung für die Mutter im Alltag sind eine gute Hilfe. Vorsicht sei geboten, wenn sich eine sogenannte Wochenbettpsychose entwickle. Hierbei sei die Mutter sich nicht mehr in vollem Umfang ihrer Lage bewusst, leide an Verfolgungswahn oder höre Stimmen, die ihr befehlen, dem Kind etwas anzutun. "Dies ist ein Notfall, bei dem die Frau sofort stationär aufgenommen werden muss", betont Anna Stockebrand.

In ihren Geburtsvorbereitungskursen spricht sie das Thema Wochenbettdepression an, um die werdenden Eltern über das Krankheitsbild aufzuklären. Sie hofft, damit das Tabu, das die zermürbende Krankheit vielerorts umgibt, brechen zu können.

"Die Wochenbettdepression ist nahezu immer heilbar", sagt die Hebamme. Und: "Je eher man die Krankheit behandelt, desto schneller wird die Mutter wieder gesund und kann sich endlich über ihr Baby freuen."

(nihu)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort