Ratingen/Düsseldorf Richterin stellt Anklage in Frage

Ratingen/Düsseldorf · Große Überraschungim Strafprozess gegen den suspendierten Technischen Beigeordneten N.: "Dieser sogenannte Beweismittelordner, auf den die Staatsanwaltschaft sich stützt, ist absolut unrealistisch und fehlerhaft", kritisierte die Vorsitzende Richterin Bettina Reucher-Hodges.

 Bettina Reucher-Hodges, die Vorsitzende Richterin der 4. Strafkammer am Landgericht, kritisierte am Freitag die Arbeit der Staatsanwaltschaft Düsseldorf.

Bettina Reucher-Hodges, die Vorsitzende Richterin der 4. Strafkammer am Landgericht, kritisierte am Freitag die Arbeit der Staatsanwaltschaft Düsseldorf.

Foto: Wulf Kannegiesseri

 Große Überraschungim Strafprozess gegen den suspendierten Technischen Beigeordneten N.: "Dieser sogenannte Beweismittelordner, auf den die Staatsanwaltschaft sich stützt, ist absolut unrealistisch und fehlerhaft", kritisierte die Vorsitzende Richterin Bettina Reucher-Hodges.

 Sie meinte damit die Dokumentensammlung, die der Chef der Heizungsfirma zusammengestellt hatte, um zu beweisen, dass N. erhebliche Vorteile beim Neubau seines Lintorfer Hauses bekommen habe. "Es ist absolut unrealistisch, dass man für den Transport einer Heizungstherme 48 Arbeitsstunden in Rechnung stellt", nannte sie nur eine Unregelmäßigkeit.

 In der Tat scheint das mehr als unrealistisch: Weniger als 30 Meter beträgt der Weg von der Straße zum Standort des Gerätes, zwei Anschlüsse müssen verkabelt werden. Dies bestätigte später auch der Sachverständige Hans-Jürgen Nippa: "Dafür braucht man maximal einen halben Tag mit allem Drum und Dran."

 Und dann setzte es weitere Kritik in Richtung Staatsanwältin: "Man müsste sich das auch mal anschauen, ob solche Aufstellungen realistisch sind", so Reucher-Hodges, die weitere Details aus dem angeblichen Beweismittel zitierte. So soll der Aktenordner 2008 erstellt worden sein, erhält aber Unterlagen aus dem Jahr 2010. Außerdem: "Kopien und Originale stimmen nicht überein."

 Alles in allem schien der Vorsitzenden das Werk so unregelmäßig, dass sie dem eigentlichen Belastungszeugen W., Chef der Installationsfirma, nahe legte, eventuell gar keine Angaben zu machen: "Hier steht der Verdacht des versuchten Betruges und der versuchten Erpressung im Raum." Sowohl W. als auch sein ebenfalls vorgeladener Ex-Mitarbeiter B. verzichteten daraufhin auf ihre Aussage. Doch das sollte nicht die einzige Schlappe für die Anklagevertretung bleiben. Nippa, der im Auftrag von Bürgermeister Harald Birkenkamp das Haus Ns begutachtet hatte, stellte klipp und klar auf Nachfrage der Staatsanwältin fest: "Es ist absolut unmöglich, dass in diesem Haus fast 90 000 Euro mehr, als im Kostenvoranschlag genannt, verbaut wurden." Birkenkamp-Intimus Christian Roß verfolgte die Verhandlung im Zuschauerraum.

 Noch geklärt werden muss am kommenden Mittwoch die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Rabatts. Die Installationsfirma hatte N. auf der Rechnung 25 Prozent Nachlass gewährt. Der Sachverständige dazu: "Das ist zwar sehr unrealistisch, kommt aber durchaus vor."

 Selbst wenn das Gericht diesen Punkt letztlich gegen den suspendierten Beigeordneten auslegen würde, stünde hier nur noch eine mögliche Vorteilsannahme von rund 6000 Euro im Fokus — statt der einst veranschlagten 90 000 Euro.

 N. wollte den Prozesstag nicht kommentieren. Dafür gab die Richterin in ihrem Schlusswort in Richtung Staatsanwaltschaft einen deutlichen Wink, wohin die Reise gehen könnte: "Bis zum nächsten Verhandlungstermin sollten wir alle einmal überlegen, wie es dann weiter geht."

(wol)
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