Hösel Hinter den Kulissen des „Oberschlesischen“

Hösel · Besondere Geschichte, besondere Aufgaben, besondere Ideen – das Oberschlesische Landesmuseum in Hösel passt so recht in keinen Rahmen.

 Der Betonkubus an der Bahnhofstraße ist nicht zu übersehen. Gleich gegenüber liegen die Büros der Museumsexperten, nebst Archiv und Lesesaal.

Der Betonkubus an der Bahnhofstraße ist nicht zu übersehen. Gleich gegenüber liegen die Büros der Museumsexperten, nebst Archiv und Lesesaal.

Foto: Blazy, Achim (abz)

Nein, der Besucher hat sich nicht verlesen. „Bayerischer Kräutertee“ steht auf der angeschlissenen kleinen Pappschachtel. Sie krönt einen Stapel Papiere auf dem Tisch mitten im Lesesaal des Oberschlesischen Landesmuseums. Gleich daneben: eine rotweissschwarze Pappdose mit Aufschrift „Agfacolor“. Kombiniere: In beiden Schachteln könnten alte Dias sein. Ein Blick hinein bestätigt das schnell. „Ein Gemischtwarenladen“, kommentiert Museumschef Dr. Stephan Kaiser den zugehörigen Papierstapel mit kaum merklichem Augenzwinkern.

 Textkorrekturen – das gehört für Maren Hartmeister und Kulturreferent Vasco Kretschmann zum Museumsalltag.

Textkorrekturen – das gehört für Maren Hartmeister und Kulturreferent Vasco Kretschmann zum Museumsalltag.

Foto: Blazy, Achim (abz)

Noch ist völlig unklar, ob historisch interessante Details darinstecken oder eben nicht. Aber selbst an einem solchen vergilbenden Gemischtwarenstapel lassen sich, wie der Museumschef findet, mehrere Haupttätigkeiten seines Hauses deutlich machen: „Sammeln, dokumentieren, präsentieren.“ Das allerdings nach allen Regeln der Kunst. Zu der gehört neuerdings auch ein großer Dokumentenscanner. Steht auch gleich im Lesesaal. „Ja, natürlich, ein Scanner ist da, alle träumen von Digitalisierung. Aber was ist mit der Systematisierung des Materials?“ Das fragt sich Kaiser angesichts riesiger Datenvolumina, die problemlos produziert werden können. Der kleine Haken an der Sache: „Man muss sie jederzeit wiederfinden können.“

 Museumsleiter Stephan Kaiser beim Sichten von Dokumenten im Archiv. Der Fundus ist nahezu unerschöpflich.

Museumsleiter Stephan Kaiser beim Sichten von Dokumenten im Archiv. Der Fundus ist nahezu unerschöpflich.

Foto: Blazy, Achim (abz)

Antworten auf solche Fragen zu geben, gehört zu dem großen Anteil von alltäglicher Museumsarbeit, von der wohl keiner der rund 10.000 jährlichen Museumsbesucher etwas mitbekommt.

Genauso wenig davon, was Maren Hartmeister, Vasco Kretschmann und Agnieszka Kalnek in einem Museumsbüro leise und unauffällig erledigen: „Textkorrekturen für die Katalogproduktion“, sagt Kretschmann. Eine wichtige Sache, bei der ein gewisses Maß an Pingeligkeit nicht schadet. Denn, das weiß Kaiser aus 13 Jahren Museumsleiter-Erfahrung: „Ohne Printprodukte keine Außenwirkung.“

Und ebenso wenig ohne Gedrucktes, Handschriftliches, Fotografiertes, Gemaltes oder Gezeichnetes, physisch in Archivboxen Aufbewahrtes. Kein Wunder, dass die Herzkammer des Oberschlesischen als „Sperrzone A“ und „Sicherheits- und Klimaschutzbereich“ mehr als deutlich im Keller ausgewiesen ist. Die Archivschränke drinnen haben entfernt Ähnlichkeit mit Tresoren, sind aber mobil verschiebbar. Und das luftbefeuchtende Klimagerät ist ein täglicher Wartungsfall, wie die Dienstliste an der Wand ausweist.

Kaiser muss nicht suchen, um eine Sammlung historischer „Hochbau-Musterpläne“ für die Eisenbahn ans Licht zu befördern. Sie stammen aus dem Jahr 1870. Aber auch Nachlässe, Bücher und Mappen aller Art werden fürs Archiv wiederauffindbar signiert und eingelagert. Auf Anfrage wird Gesuchtes zur Verfügung gestellt, für Familien- oder Regionalforschung. Denn das Museum hat auch die Funktion einer öffentlichen Bibliothek. Und die Nachfrage? „Hält sich in Grenzen“, sagt Kaiser.

Immerhin: Der Lesesaal, in dem vor 35 Jahren auch die erste große Ausstellung des Hauses war, ist nicht nur für Fachpublikum gedacht. Das hängt auch zusammen mit der nicht ganz unkomplizierten öffentlichen Finanzierung des Museums. Grob gesagt, geht sie so: Über die Kulturförderung zahlt das Land für das Museum, der Bund fallweise für Ausstellungen. Hinzu kommt die Stiftung Haus Oberschlesien, die im kommenden Jahr 50 Jahre alt wird. Seit dem Jahr 2000 ist das Museum auch keine eigene Forschungseinrichtung mehr.

So umfangreich der Bestand auch sein mag, es kann keine Rede davon sein, dass das Oberschlesische Landesmuseum damit allein ein Jahresprogramm gestalten könnte oder wollte. „Wir brauchen viele Partner – und sei es für Leihgaben“, erklärt der Museumschef. Folglich gibt es rege Kontakte zu Sammlern. Die Arbeit in dieser Hinsicht ist „nicht immer ganz frei von Sonderbarkeiten“, wie es der Museumschef diplomatisch umschreibt.

Ein anderes Beispiel für die professionelle Sammelarbeit, von der draußen eigentlich niemand etwas mitbekommt. Eine Frau lebt in einem Seniorenheim. Sie meldet sich in Hösel: Ihr Vater habe bei der Bahn in Oberschlesien gearbeitet und Tagebuch über Flüchtlingstransporte geführt. Diese Dokumente finden garantiert ihren Weg in die Museumsbestände, wie auch immer aufgearbeitet.

Das Team des Oberschlesischen besteht aus Volontären, wissenschaftlichen Mitarbeitern, Verwaltungsmitarbeitern, Haustechnikern und Museumsaufsichten. Gemeinsam verzeichnet man im Museum „etwa 4000 Exponatbewegungen pro Jahr“, wie Kaiser vorrechnet. Insofern bestehe schon „ein gewisser Warenumsatz“. Zumal, wenn dazu noch der Publikationsversand gezählt werde.

Und obwohl die Zahl von 500 bis 1000 Exponaten pro Schau stattlich klingt, spricht der Museumschef von seinem Museum gern auch als „Mikrowelt“.

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