Musik Kenner erleben Wagners Tannhäuser im Kino

RATINGEN · Gabriele Rosslenbroich gab sich als perfekte Gastgeberin. Die Aufführung dauerte bis Mitternacht.

 Kinochefin Gabriele Rosslenbroich verteilte vor der mehrstündigen Aufführung Fächer an die Kinobesucher.

Kinochefin Gabriele Rosslenbroich verteilte vor der mehrstündigen Aufführung Fächer an die Kinobesucher.

Foto: Blazy, Achim (abz)

Wagner war in Ratingen. Genau wie im vergangenen Jahr, nur noch heißer. Man eröffnete diesmal die Bayreuther Festspiele mit Tannhäuser, man übertrug die Premiere weltweit in ausgewählte Kinos, die man zu einem  solchen Anlass sicher Lichtspielhäuser nennen kann.

Und sie waren entgegen der Meinung des Moderaters Axel Brüggemann, den man zur Erbauung in die Pausen geholt hatte, keinesfalls alle klimatisiert. Auf dem grünen Hügel gibt es sowas bekanntlich auch nicht.

In Ratingen aber erwartete eine wahre Gastgeberin ihr Publikum: Kinobesitzerin Gabriele Rosslenbroich schenkte jeder Besucherin einen Fächer, kredenzte für alle Gäste Sekt oder Saft und für die Rückenfreundlichkeit ein Kuschelkissen.

Wärme gab es von der Natur – doch im Kloster mit meterdicken Wänden „ging es“.

Während also am originalen Platz die Begeisterung bereits seit 16 Uhr über die Bretter ging, wurde zeitversetzt in die Kinos übertragen. Die originale Pausenzeit von einer Stunde schrumpfte hier.

Aber zum Abschluss-Begeisterungssturm mit einem kleinen Buh waren alle Zuschauer zeitgleich beisammen. Die Zustimmungs- und Ablehnungsäußerungen blieben dem Bayreuther Publikum vorbehalten. Und Tannhäuser ist ja auch keine Rocky Horror Picture Show.

Was zieht man zu Tannhäuser und 38 bis 40 Grad Celsius an? In Ratingen dominierte das hübsche helle Leinenkleidchen mit anmutiger Sandale bei den Damen, bei den Herren sah man auch Bermudas.

In Bayreuth sah das schon anders aus, was allerdings von einer sogenannten anspruchsvollen Kameraführung verborgen wurde.

Man hätte schon gern die Kanzlerin im limonensauren Zweiteiler ohne Professor Sauer gesehen, vielleicht auch die kleine Demo neben dem roten Teppich und ein paar hübsche Promi-Damen.

Dafür gab es vorgefertigte Gespräche des Moderators mit dem Dirigenten, dem Regisseur und dann, o Schreck, auch noch mit Minister Jens Spahn und Ministerpräsident Markus Söder.

Bei den  beiden letzten so spritzig und sinnvoll, wie man es sich in kühnsten Träumen nicht hätte ausmalen können.

Leider hüpfte Brüggemann wie ein Duracell-Hase durch die Pausen, stolz, die Promis duzen zu dürfen, und einfach zu sein und das auch noch bei ihnen.

Ganz schön, sozusagen als Kontrast, Katharina Wagner, staubtrocken und neben der männlichen Plaudertasche noch weniger als einsilbig. War das Rache? War das Witz?

Das Ratinger Kino hat mit den Klassik-Übertragungen inzwischen ein zuverlässig begeistertes Publikum gewonnen. Und es kommen nicht nur die Besucher, die Musik einfach mögen.

Es kommen auch die Kenner. So gab es einen Zuhörer, der schon zu Hause im Radio den ersten Akt angehört hatte und den dann komplett noch mal serviert bekam.

Vor Mitternacht, als das Bühnenspiel dann zu Ende gefeiert worden war, entließ Wagner seine kleine Kino-Fangemeinde dann in einen Samt-und-Seiden-Abend.

Der soll nicht nur in Einzelfällen noch zu manch spritzigem Bier geführt haben.

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