Unterwegs in Hösel Steinerne Zeugen erzählen von mondänen Zeiten

Hösel · Exklusive Villen zeugen von der Zeit, in der Hösel Luftkurort war. Neue Bauprojekte werden kritisch betrachtet. Die Höseler möchten den Charme ihres Stadtteils bewahren.

 Edzard Traumann vor der Traditionsgaststätte Boltenburg. Noch in den 30er Jahren wurden im angrenzenden Ballsaal rauschende Feste gefeiert.

Edzard Traumann vor der Traditionsgaststätte Boltenburg. Noch in den 30er Jahren wurden im angrenzenden Ballsaal rauschende Feste gefeiert.

Foto: Achim Blazy (abz)

Wenn Höseler sich treffen, dann kommt meist das Eiscafé von Filippo Claudio ins Spiel. Gut erreichbar, zentral gelegen und vor allem – lecker. „Viele Gäste kommen sogar aus den umliegenden Städten“, berichtet Edzard Traumann. Der ehemalige Beigeordnete der Stadt ist seit mehreren Jahrzehnten Höseler mit Leib und Seele. „Es ist vor allem die Lage“, sagt er. „Hösel ist umgeben von Wald, Feld und Wiesen. Es gibt kaum ein Haus, das weiter als zehn Minuten vom Wald entfernt liegt.“ Einziger Wermutstropfen: Der Fluglärm.

Ein richtiges Zentrum hatte Hösel lange nicht. Bis in die 80 Jahre wurden an der Stelle, an der heute das Hösel-Center steht, noch Spiegelglas produziert. Die Fabrik wurde abgerissen und ein Nahversorgungszentrum entstand. „Das Center hat Hösel gutgetan“, findet Edzard Traumann. Knapp 30 Geschäfte bieten rund um die Kreuzung Bahnhofstraße/ Eggerscheidter Straße alles für den täglichen Bedarf.

Im Kreisverkehr vor dem Hösel-Center hielt rund 20 Jahre das Höseler Wappentier – ein bronzenes Reh – Wacht über den Stadtteil und hätte wohl einiges zu erzählen. Fußballfans schmückten es in Vereinsfarben, Passanten versorgten es mit Mützen, Schals und auch mal mit Windeln. „Vor zehn Jahren wurde es gestohlen, später aber beschädigt wiedergefunden“, berichtet Traumann. Emotional berührt sammelten die Höseler für eine Restaurierung. In der Nacht zum 18. Mai flexten Unbekannte das Tier erneut von seinem Sockel. Peter Thomas, Vorsitzender der Höseler CDU, und Michael Droste, Vorsitzender der Geschwister-Gerhard Stiftung, machten sich auf die Suche nach einem Ersatz. Erneut sammeln die Höseler und schon bald wird wieder ein Reh die Besucher begrüßen.

Hösel hat eine lange Geschichte. Die ursprüngliche Ansammlung von Landwirten erlebte einen Aufschwung mit dem Bau der Bahnlinie im Jahr 1872. Nach und nach entdeckten betuchte Bauherren den Ort und wählten Hösel als Sommerresidenz. Extravagante Villen entstanden entlang der Badenstraße (auf der bis heute eine schattige Allee die Zeit überdauert hat), Bayernstraße, Sachsenstraße, Preußenstraße oder Württembergstraße. „Diese Straßen wurden früher Leberwurstviertel genannt“ so Traumann. Er liefert die Erklärung: „Wenn fahrende Kolonialwarenhändler kamen, wurden die Dienstmädchen losgeschickt, um feine Leberwurst zu kaufen.“

In den 1930er Jahren wurde Hösel Luftkurort, ein Kurpark entstand und viele Bergleute aus dem Ruhrgebiet erholten sich im Sanatorium, dem heutigen Seniorenheim Pro Seniore. Der Ort erlebte einen gesellschaftlichen Aufschwung. Die betuchten Einwohner feierten rauschende Feste (besonders im Hause Henkel soll viel Prominenz ein und aus gegangen sein). „Drei große Tanzsäle gab es“, berichtet Edzard Traumann. In der Werkstatt von Radio Stein ist noch das Gewölbe des einst prunkvollen Raumes zu sehen. Höhen und Tiefen des Stadtteils überlebt hat die „gute Stube“ Hösels, die Boltenburg (von den Höselern „Bolte“ genannt). „Das Haus ist seit mehr als 150 Jahren in der Hand einer Familie“, so Traumann.

Zeichnete sich Hösel früher durch großzügigeGrundstücke und imposante Häuser aus, wird genau dies dem Stadtteil heute zum Verhängnis. „Die Erben veräußern die Grundstücke und Investoren bauen Mehrfamilienhäuser. Damit verliert Hösel seinen Charme und seinen Charakter“, bedauert Traumann.

Mit dem modernen Bau des Haus Oberschlesien zog die Zukunft in Hösel ein. Schon bald wurde es zu klein und so errichtete das Land NRW auf der gegenüberliegenden Straßenseite das nicht minder moderne Oberschlesische Landesmuseum. Für das Team rund um Susanne Peters-Schildgen wurden Hösel und das Museum „Ersatzheimat.“ Die Arbeit findet in enger Kooperation mit der Heimat statt und so „begegnet man täglich Landsleuten“, berichtet Museumsmitarbeiter Leonard Wons. Ab November erfahren Besucher viel Wissenswertes über schlesische Persönlichkeiten von Gerhard Hauptmann über Bernhard Grzimek bis Lukas Podolski und Miroslav Klose.

In das alte Haus Oberschlesien sind Vereine eingezogen. Unter anderem der Kulturkreis. „Wir organisieren rund ums Jahr viele Veranstaltungen von Konzerten über Lesungen und Poetry-Slam bis zu Tagesfahrten und Reisen“ erklärt Michaela Böhm. Auf Einladung des Vereins kamen bereits Martin Walser oder Joachim Gauck nach Hösel. Während des Corona-Shutdowns organisierten die rund 400 Mitglieder eine Einkaufshilfe und eine Unterstützungsaktion für die Höseler Geschäftswelt.

Vereine sorgen für den Zusammenhalt der Höseler. „Rund 20 Vereine sind in und um Hösel ansässig“, berichtet Edzard Traumann. Der größte ist der TV Hösel. Golf, Reiten, Tennis, Fußball – an Freizeitangeboten mangelt es in Hösel nicht. Da jeder dritte Höseler in einem Verein organisiert ist, fieberte das halbe „Dorf“ mit dem SV Hösel um den Aufstieg in die Bezirksliga.

 Das jetzige Seniorenheim Pro Seniore war früher ein Sanatorium.

Das jetzige Seniorenheim Pro Seniore war früher ein Sanatorium.

Foto: Achim Blazy (abz)
 Susanne Peters Schildgen führt das Oberschlesisches Landesmuseum.

Susanne Peters Schildgen führt das Oberschlesisches Landesmuseum.

Foto: Achim Blazy (abz)
 Michael Droste (l.) und Peter Thomas mit dem neuen Höseler Reh.

Michael Droste (l.) und Peter Thomas mit dem neuen Höseler Reh.

Foto: RP/Peter Thomas
 Die Dikelsmühle unweit der Geschwister Gerhard Stiftung wurde in den 30er Jahren als Gaststätte genutzt.

Die Dikelsmühle unweit der Geschwister Gerhard Stiftung wurde in den 30er Jahren als Gaststätte genutzt.

Foto: Achim Blazy (abz)

Der alte Bahnhof ist bis heute das Tor zur Welt. Erst im April ging der sanierte Busbahnhof in Betrieb. In unmittelbarer Nähe soll auf dem Gelände der ehemaligen Tapetenfabrik Goldkuhle ein neues Wohnviertel entstehen. „Das Projekt ist nicht unumstritten“, so Edzard Traumann. „Viele Höseler befürchten eine Teilung des Stadtteils.“ Wer aber vom Bahnhof zum Hösel-Center läuft, kann die Zeugen der mondänen Vergangenheit noch genießen.

(abin)
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