35 Jahre Grenzöffnung „Ich spüre die Vorbehalte“

Ratingen · Eine Diskussion im Haus Oberschlesien zum Thema „35 Jahre Grenzöffnung zwischen Ungarn und Österreich“ sorgte für Emotionen der Teilnehmer.

Stiftungschef Sebastian Wladarz (M.) im Gespräch mit Eszter Zarándi und Jörg Meißner.

Foto: Stiftung Haus Oberschlesien

Helmut Kohl sagte einmal, dass die Ungarn den ersten Stein aus der Berliner Mauer geschlagen haben und dass die Erde unter dem Brandenburger Tor zugleich ungarische Erde sei. Das waren Worte der Dankbarkeit für das Schlupfloch in der ungarisch-österreichischen Grenze, das schließlich zur Öffnung der Berliner Mauer und zur Wiedervereinigung Deutschlands führte. Doch wie ist die Lage heute, 35 Jahre danach, auch vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen? Darüber sprachen Ungarn und Deutsche in einem Zeitzeugengespräch. Das Generalkonsulat von Ungarn in Düsseldorf und die Stiftung Haus Oberschlesien hatten zu einer Feierstunde ins Haus Oberschlesien geladen.

Es ging emotional her. Am Ende kochten die Emotionen sogar etwas hoch. Eszter Zarándi, gebürtige Budapesterin, die seit 2006 in Wesseling lebt, antwortete auf die Frage nach der Zukunft der bilateralen Beziehungen so: „Eigentlich bin ich eine Optimistin. Doch viele Medien schreiben schlecht über uns Ungarn. Ich kann die Vorbehalte förmlich spüren. Daher ist mein Optimismus deutlich getrübt“. Ihr Gegenüber, DDR-Flüchtling Jörg Meißner aus Erfurt war dann doch optimistischer: „Ich glaube schon, dass wir wieder gute Zeiten bekommen werden. Das diesjährige Jubiläumstreffen in Sopron hat unter reger Beteiligung der Jugend vom deutsch-ungarischen Jugendwerk stattgefunden, da gibt es weniger Vorbehalte“. So gingen die Zeitzeugen doch wieder mit einem positiven Gefühl auseinander.

Mit „Wind of Change“ von den Scorpions und weiteren Liedern der Wendezeit eröffnete der Knabenchor Hösel die Feierstunde. Stiftungsvorsitzender Sebastian Wladarz betonte, dass man in Deutschland manchmal dazu neige, die eigene Rolle zu überschätzen und die der Ungarn zu unterschätzen. Deshalb sei es gut, sich gemeinsam die Ereignisse in Erinnerung zu rufen. Diese bezeichnete Ewald Vielhaus, stellvertretender Bürgermeister der Stadt Ratingen, als Glücksfall der Geschichte. Der ungarische Generalkonsul bemühte sich, herauszustellen, auf wie vielen Ebenen mittlerweile die Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten sehr gut funktioniert.

Bereits im Mai 1989 begann Ungarn, die Sperranlagen an der ungarisch-österreichischen Grenze zu entfernen.

Foto: picture-alliance / dpa

Doch beim Dokumentarfilm „Kein Befehl!“ wurde es emotional. Dort wurde auch die Geschichte von Kurt-Werner Schulz erzählt. Der 36-jährige Architekt aus Weimar war das letzte Opfer des Eisernen Vorhangs. Obwohl Ungarn bereits im Mai 1989 anfing, die Grenzbefestigungen abzubauen, wurde er am 21. August 1989, nur zwei Tage nach dem Paneuropäischen Picknick, beim Versuch, über die ungarisch-österreichische Grenze in den Westen zu gelangen, bei einem Handgemenge von einem ungarischen Grenzsoldaten erschossen. Ungarn öffnete in der Nacht vom 10. auf den 11. September 1989 dann endgültig die Grenzen. Der Eiserne Vorhang war Geschichte.

„Als Handwerker war man sowieso schon Feind des Systems“, beschrieb Jörg Meißner seine Gefühle zur Wendezeit. Am meisten belastet habe ihn auch die Familientrennung: „Wir lebten nebeneinander. Meinen Onkel in Rheinland-Pfalz habe ich nie kennen gelernt“, so der Thüringer. Alle um ihn herum haben das System abgelehnt, dennoch habe es so lange Bestand gehabt. Der Personalwechsel in Moskau sei daher ein Glücksfall gewesen. „Es ergab sich ein kleines Zeitfenster, in dem die Wende möglich war und wir haben es, Gottseidank, genutzt“, erinnert sich Meißner mit feuchten Augen.

Nicht minder ergriffen berichtete Eszter Zarándi: „Mein Sohn konnte die DDR-Bürger auf der Straße vom Weitern erkennen. Sie waren alle ähnlich angezogen. Er hat sie dann mitgebracht und wir haben ihnen dann geholfen“, erinnert sich die Budapesterin. Sie habe über ihren Job schon immer oft Kontakt mit DDR-Bürgern gehabt. „Wir arbeiteten mit einem Planungsbüro zusammen und fuhren mehrmals im Jahr auf Delegationsreise“, sagt Zarándi und ihr stockt die Stimme als sie dann erzählt, dass sie als Ungarn nach West-Berlin weiterreisen konnten und ihre Bekannten aus der DDR am Bahnhof Friedrichstrasse aussteigen mussten. „Ich habe früher gedacht, dass sie doch alles haben, Arbeit, Wohnung, Essen und was man so braucht. Doch da wurde mir klar, was diesen Menschen fehlte“, sagt sie mit Tränen in den Augen. Und so habe man natürlich diesen Menschen geholfen, die über Ungarn ihren Weg in die Freiheit suchten.

„Am Ende siegte die Menschlichkeit“, fasste Moderator Sebastian Wladarz das Gespräch dann zusammen, der sich selber als „Kind des Ostblocks bezeichnet“: „Wir sind auch 1987 aus Polen über Helmstedt nach Westdeutschland abgehauen. Mein Onkel versuchte 1985 über Budapest-Keleti den Weg Richtung Österreich, ist aber leider aufgeflogen“, sagt der gebürtige Gleiwitzer und freute sich, „dass wir uns beim Empfang sicher noch mit der einen oder anderen persönlichen Geschichte austauschen können“.

(RP )