Ratinger Geschichte Die Bäckerei Steingen wird 185 Jahre alt

Ratingen · Die Traditionsbäckerei in Lintorf kann auf ein stolzes Jubiläum blicken. Man arbeitet bereits in der sechsten Generation.

 So sah es 1913 vor der Bäckerei Steingen aus, als sie von Wilhelm Steingen (dritter von rechts) übernommen wurde. Das Pferd wurde übrigens im Ersten Weltkrieg requiriert und starb irgendwo auf den Schlachtfeldern Frankreichs.

So sah es 1913 vor der Bäckerei Steingen aus, als sie von Wilhelm Steingen (dritter von rechts) übernommen wurde. Das Pferd wurde übrigens im Ersten Weltkrieg requiriert und starb irgendwo auf den Schlachtfeldern Frankreichs.

Foto: Steingen

Seit 1833 befindet sich die Bäckerei Steingen im Familienbesitz. Stefan Steingen-Gerads führt sie mittlerweile in der sechsten Generation. In der kommenden Woche feiert die Lintorfer Bäckerei ihr 185-jähriges Bestehen.

Fast täglich klingelt bei Stefan Steingen-Gerads um 1.15 Uhr nachts der Wecker. Zeit, für den Bäckermeister aufzustehen und in die Backstube zu gehen. Als erstes stellt  er den Teig für Brot und Brötchen fertig. „Man braucht viel Ruhe und Zeit“, erklärt der 48-Jährige. „Bei uns ist alles Handarbeit. Nichts wird wie in Bäckereiketten maschinell hergestellt. Alles kommt frisch aus dem Ofen.“ Auf seine Arbeit ist Steingen-Gerads stolz.

Seit dem 1. Januar 2009 führt er die Bäckerei. Frühe Schriften aus dem 19. Jahrhundert bezeugen, dass bereits im Jahr 1833 die Bäckerei existierte. Damals gründeten Adolph Wilhelm Steingen und seine Brüder Johann und Carl im Backhaus im Kreuzfeld eine Bäckerei. „Sie verkauften Brot an die Lintorfer, die aus welchen Gründen auch immer nicht mehr bereit oder in der Lage waren, ihr eigenes Brot zu backen“, berichtet Manfred Buer. Buer  – pensionierter Lehrer, Heimatforscher und Ehrenvorsitzender der Lintorfer Heimatfreunde – hat sich mit der Geschichte des Familienbetriebs Steingen befasst. Demnach eröffneten Adolph Wilhem Steingen und seine Frau Elisabeth dann im Jahre 1844 eine eigene Backstube in ihrem Haus an der Viehstraße, der heutigen Speestraße. Dort ist bis heute der Familienbetrieb beheimatet. „Es ist eine Ehre, diese Tradition und das Handwerk weiterzuführen“, sagt Steingen-Gerads.

Mit Hand und Herz sei er immer dabei, auch wenn so ein Familienbetrieb viel Arbeit ist. Die ganze Familie hilft mit, auch seine Eltern seien immer noch eingespannt. Wenn man auf 185 Jahre Betriebsgeschichte zurückblicken kann, scheint sich die Arbeit gelohnt zu haben. Andere Familienbäckereien im Umkreis gibt es nicht mehr, schon recht nicht mehr in Lintorf.

Nach dem Tod von Adolph Wilhelm Steingen im Jahr 1875 lässt Sohn Carl das Geschäft umbauen, er nimmt außer dem bis dahin üblichen dunklen Brot auch Mischbrot aus Roggen- und Weizenmehl, Brötchen und rundes Weißbrot mit ins Sortiment. 1930 folgt die erste Filiale im alten Häuschen der Familie Haufs gegenüber der St.-Anna-Kirche, die 1973 vom Lintorfer Markt an den Ulenbroich verlegt wurde.

Turbulente Zeiten erlebt der Familienbetrieb während des Zweiten Weltkriegs. In dieser Zeit erweitert und modernisiert Rudi Steingen den Betrieb.  „Während die Versorgung mit Mehl und anderen Rohstoffen während des Krieges noch einigermaßen funktionierte, brach sie am Ende des Krieges völlig zusammen. Im Hungerwinter 1946/47 standen nachts Schlangen von Menschen vor der Bäckerei, um das wenige Brot zu ergattern, das gebacken werden konnte“, erklärt Heimatforscher Buer. Außerdem musste die Bäckerei auf Anordnung des britischen Lagerkommandanten Brot für das „Ausländerlager“ an der Rehhecke backen, in dem zeitweise 6000 Menschen lebten, mehr als Lintorf damals Einwohner zählte. Um diese Herausforderung zu meistern, wurde eigens eine große neue Backhalle errichtet, zusätzliches Personal musste eingestellt werden. Und auch der Anbau im Landhausstil neben dem alten Haus entstand in den 1940erJahren neu. In den 70er-Jahren wird die Backstube, die zu dieser Zeit von Rudi Steingens Tochter Hildegard und ihrem Mann Manfred Gerads geführt wird, modernisiert. Neue Öfen, ein größeres Mehlsilo und  neue Maschinen sorgten für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Brotfabriken und Supermärkten.

Heutzutage beschäftigt Stefan Steingen-Gerads 15 Angestellte. Ob die siebte Generation Steingen die Familientradition fortführt, steht noch in den Sternen. Sein Sohn studiere, die Tochter gehe noch zur Schule. Allerdings wünscht Steingen-Gerads sich, dass die Kunden mehr darüber nachdenken, was und wo sie ihre Lebensmittel kaufen. „Es ist etwas Besonders, noch von Hand zu backen.“

(isf)
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