Serie Redensarten (4) Ohne 2. Geige klingt ein Orchester fad

Ratingen · Die neue Hildener Musikschulleiterin Eva Dämmer über Hierarchie und die Fähigkeit, zuhören zu können.

Selbst im Treppenhaus steckt Musik: Als die Dozenten der Musikschule die neue Leiterin Eva Dämmer mit einem selbstgedichteten Kanon begrüßten, standen sie auf der imposanten Steintreppe des altes Helmholtz-Gymnasiums. Der Klang flutete alle Etagen. Eva Dämmer lauschte beeindruckt. So soll es auch heute sein - bei der ersten Gesamtkonferenz der Musikschule mit 75 Lehrerinnen und Lehrern und mehr als 3600 Schülern. "Die spielen mit bei mir die erste Geige", sagt die neue Leiterin. Und weil so ein Zauber des Neuanfangs flüchtiger ist als manch hoher Ton, schiebt sie rasch nach: "Natürlich habe ich eine Menge Ideen. Aber die Musikschule besteht nicht aus einer Einzelperson, sondern aus der Gemeinschaft der Schüler und Dozenten. Mit ihnen zusammen möchte ich die Zukunft dieser Einrichtung entwickeln."

Auf die Fähigkeit, erst einmal zuzuhören zu können, kommt es Eva Dämmer an. Richtig sauer kann sie werden, wenn Konzertbesucher sich munter miteinander unterhalten, während auf der Bühne alle ihr Bestes geben. Das sei schlicht eine fehlende Wertschätzung gegenüber den Musikschülern und ihren Lehrern. Nachdenklich machte sie vor kurzem ein Mädchen in ihrer ersten Klavierstunde, das ihr begeistert etwas vorspielte. "Das kam aus ihr selber heraus, hatte eine Melodie, einen Anfang und ein Ende. Sehr gut." Das Mädchen selbst aber sagte: "Das ist ja kein richtiges Lied." Gibt es "falsche" Lieder?

Natürlich ist Musikmachen vor allem ein Handwerk und Übungssache. Es gehört oftmals Durchhaltewillen dazu. Eine Musiklehrerin muss ermutigen und über schwierige Stellen hinweghelfen. An dieser Stelle fällt der Schlüssel-Satz: "Ich spiele dabei nur die zweite Geige."

Das klingt erst einmal nach "zweiter Reihe", nach einem mitunter fatalen Mangel an Durchsetzungskraft. Was Eva Dämmer nun wirklich niemand nachsagen kann, denn 25 Jahre lang hat die ausgebildete Konzertpianistin erfolgreich die Musikschule in Haan geführt. Dort trommelte sie Sambarhythmen; brachte lebhafte Fünft- und Sechstklässler in einem Musical-Ensemble zusammen, gab Klavierunterricht. "Hier in Hilden muss ich erst einmal schauen, was da ist - und das ist sehr viel - quantitativ wie auch qualitativ", sagt sie, die Ideen in einem kleinen schwarzen Buch notiert. Indes: So ein großes Orchester ist keine Demokratie. Was wäre das für ein Missklang, wenn jeder Symphoniker seinen Einsatz selbst bestimmte und noch dazu das eigene Tempo wählte. Da ist der Dirigent davor. Sobald der Maestro die Bühne betritt, begrüßt er - stellvertretend für den gesamten Klangkörper - die erste Geige. Die ist selbst für sporadische Konzertgänger leicht zu erkennen: Sie gibt den Ton an. "Meist ein souveräner Charakter, stilistisch brillant, nahezu perfekt im Spiel. Bestimmend", so beschreibt Eva Dämmer den Geiger oder die Geigerin mit der größten Nähe zum Dirigentenpult.

"Wenn alle die erste Geige spielen wollen, kommt kein Orchester zusammen", warnte schon Robert Schumann. Könnte man in einem großen Symphonieorchester alle Instrumente ausblenden, wäre die führende Geige schlicht verloren. Ihre Töne taumelten haltlos durch den Konzertsaal. "Manche Komponisten spielen bewusst mit diesem Gegensatz. Erst die zweite Geige bringt die erste zum Strahlen, gibt ihr ein Fundament, verleiht dem Spiel Farbe", sagt Dämmer. Mit der zweiten Reihe hat die zweite Geige nichts zu tun, denn ohne sie klingt ein Orchester fad'.

Wer mit dem Satz "Ach, der spielt ja bloß die zweite Geige" jemanden zurückstufen möchte, greift also glatt daneben.

(RP)
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