Ratingen Vier Stunden warten auf die Impfung
Ratingen · Der pensionierte Arzt Dr. Helmut Weber begleitete eine demenzkranke Person zur Booster-Impfung in einem Impfmobil. Fast vier Stunden standen sie bei nasskalter Witterung in der Schlange. Er schildert seine Eindrücke.
„Wir kamen in Ratingen nach 15 Uhr bei einer nasskalten Witterung an und sahen eine Menschenschlange in einer Länge von geschätzt 300 Metern mit rund 300 Personen. Ich überlegte kurz, ob ich uns dies antun und besser wegfahren sollte. Mit Blick auf die Gesundheits- und Lebensgefahr beim nachlassenden Impfschutz, reihten wir uns am Schluss der Menschenschlange ein.
Es ging gefühlt in Zentimeter-Schritten voran. Ich schätzte die Wartezeit auf zwei Stunden ein, zuletzt waren es nahezu vier Stunden. Alle froren bei der nasskalten Witterung immer mehr, obwohl wir uns vorsorglich warm angezogen hatten.
Nach rund zwei Stunden kam ein Vertreter des Roten Kreuzes und verteilte Formulare; wir hatten diese bereits ausgefüllt dabei. Er fragte, wann die zweite Impfung erfolgt sei. Die Ärztinnen im Impfmobil hätten ein Limit (letzte Impfung 15. Juni) für die Booster-Impfung gesetzt. Falls dieser Termin überschritten sei, hätte es keinen Sinn zu warten, wir würden weggeschickt. Ich erwiderte, dass Wissenschaftler darauf hingewiesen hätten, dass die sechs Monate lediglich eine Orientierung seien und es also keine sachliche Begründung dafür gebe, um uns wegzuschicken. Es sei ein Defizit der Verantwortlichen, die Vorgabe nicht näher präzisiert zu haben, aber andererseits davon zu sprechen, die Sechs-Monatsfrist könnte auch unterschritten werden.
Die feuchte Kälte kroch uns von Stunde zu Stunde immer mehr in den Körper. In Abständen wurden wir von Rauchern eingenebelt. Ich bat diese, beiseite zu treten und wies darauf hin, dass das Risiko, durch Rauchen zu sterben dreimal höher sei als das Risiko, durch das Corona-Virus zu sterben.
Ich assoziierte bei dieser Warteschlange mit einer Kriegs- oder einer Katastrophensituation, bei der man um Nahrung und Wasser anstehen muss. Wütend wünschte ich mir, dass die für diese Situation verantwortlichen Politiker sich in dieser Jahreszeit in so eine Warteschlange zum Impfen einreihen müssen, um zu begreifen, was sie angerichtet haben.
Bald sollen wieder Impfzentren geöffnet werden. Ich hoffe, dass die Politik jetzt richtig handelt und die Alten, Gebrechlichen und Vorerkrankten für einen gewissen Zeitraum vorzieht, denn diesem besonders gefährdeten Personenkreis ist die Tortur einer langen Warteschlange bei dieser Witterung vor einem Impfmobil oder eine längere Wartezeit auf einen Praxistermin nicht zumutbar.
Auch das aufwärmende auf der Stelle treten half nicht bei der nasskalten Witterung. Ich war schon dankbar, dass es nicht noch regnete. Immer wieder war ich versucht abzubrechen, aber geradezu masochistisch gab ich mir immer wieder einen Ruck, durchzuhalten.
Uns „retteten“ „Engel“ der Ratinger Tafel mit einer Mandarine und am absehbaren Ende der Schlange mit heißem Tee. Drei Rote-Kreuz-Helfer wickelten in einem offenen Zelt (ohne Heizung) mit klammen Fingern die Anmeldung ab. Das Paar vor uns führte die Grundsatzdiskussion über die Tagesüberschreitung der in Ratingen gesetzten Fünf-Monatsfrist nach der letzten Impfung. Letztlich kam das erfreuliche Signal aus dem Impfmobil, die Impfung werde trotz der Überschreitung der Frist doch durchgeführt.
Am Schluss ging es in eine kürzere Warteschlange zum Impfmobil. Ich signalisierte am Wagen, dass meine Betreute dement sei. Was dann folgte, war bühnenreif. Meine Betreute verweigerte in panischer Angst und aggressiv die Spritze und wollte aus dem Wagen mit mehreren Treppenstufen springen. Die Ärztin fragte mich, ob ich Kollege sei, ich bejahte dies. Da bot sie an, ob ich meiner Betreuten die Spritze selbst verabreichen wolle. Ich bejahte auch dies, beruhigte meine Begleiterin so gut ich konnte und ohne dass sie den Einstich mit der Mininadel überhaupt registrierte, impfte ich sie.
Ich bedankte mich bei dem zwischenmenschlich sehr freundlichen und hilfsbereiten Team im Impfmobil und den Umstehenden, die mit zur Beruhigung beigetragen hatten. Das Ganze war mir wegen der Schlange von circa noch 100 Personen nach 19 Uhr unangenehm, das heißt wegen der Verzögerung von drei Minuten. Abschließend: Bei mir kam erschwerend hinzu, dass ich immer wieder meiner Betreuten in der Warteschlange stereotyp erklären musste, warum wir so lange in der Kälte stehen mussten. Je mehr wir uns dem Impfmobil näherten, umso angespannter, erschöpfter und aggressiver wurde sie.
Wir und die Politik sollten uns darauf einstellen, dass wir auf längere Zeit nachboostern müssen. Ich schätze, Anfang Herbst des nächsten Jahres erfolgt die nächste Impfkampagne. Dann bitte möglichst mit dem Angebot einer aktuellen Grippeschutzimpfung verbinden. Neben der Politik sollten sich sowohl Hausärzte und Verantwortliche von Impfzentren und -mobilen schon jetzt vorbereiten. Nach diesen Erfahrungen habe ich mich freiwillig als Impfarzt gemeldet.“