Interview mit dem Umweltdezernenten „Die Stadtgesellschaft muss umdenken“

Die Stadt will ein großes Förderprogramm Solar auflegen. Der Dezernent formuliert ambitionierte Ziele.

 Umweltdezernent Martin Gentzsch liegt der Klimaschutz besonders am Herzen.

Umweltdezernent Martin Gentzsch liegt der Klimaschutz besonders am Herzen.

Foto: Achim Blazy (abz)

Sie haben im Klimabeirat das städtische Förderprogramm Solar vorgestellt. Wie waren die Reaktionen?

Gentzsch Der Klimabeirat hat das von Bürgermeister Klaus Pesch und mir eingebrachte Förderprogramm begrüßt und möchte ebenfalls einen beschleunigten Ausbau von Photovoltaik-Anlagen (PV) unterstützen. Derzeit werden rund fünf Prozent der Dächer für Photovoltaikanlagen genutzt. Wir wollen dazu beitragen, das Solarpotenzial zu nutzen. Mit Sonnenenergie wird Strom direkt vor Ort erzeugt und für den Eigenverbrauch nutzbar. Das spart Stromkosten ein. Neben dem Kauf einer Solaranlage gibt es auch Mietmodelle. Und die Einsparungen werden steigen. Die Bundesregierung hat zur Erreichung der Klimaziele einen schrittweisen Anstieg der CO2-Preise beschlossen. Mit CO2-frei erzeugter Solarenergie werden der eigene Geldbeutel und das Klima geschont. Eine Win-Win-Situation für alle.

Das Förderprogramm gilt als ambitioniert. Warum?

Gentzsch Das Förderprogramm an sich nicht, auch wenn wir vorgeschlagen haben, den Fördertopf von 50.000 auf 300.000 Euro anzuheben. Damit soll mehr Immobilienbesitzern eine städtische Förderung ermöglicht werden. Ratingen nimmt seit März an einem Wettbewerb teil. Dieser endet, wenn die erste Großstadt den PV-Ausbau im Stadtgebiet verdoppelt hat. Ratingen hat das Potenzial, eine Verdoppelung bereits bis zum Jahresende 2022 zu schaffen. Vielleicht liegen wir dann im Städteranking auf einem vorderen Platz. Das ist ambitioniert, aber machbar. Als Verwaltung wollen wir gemeinsam mit anderen Akteuren dieses Ziel unterstützen. Auch auf städtischen Gebäuden wird die Verwaltung weitere Photovoltaikanlagen errichten.
Zusammen mit örtlichen Energieberatungsstellen und -beratern wollen wir Informationsarbeit leisten, damit mehr Haushalten und Gewerbebetrieben die erheblichen Vorteile von Solaranlagen bekannt sind. Wir wollen auch mit Informationen auf Vermieter zugehen.
Dies bietet Chancen für niedrigere Mietnebenkosten – und dies bei gleichzeitiger Wertsteigerung des Mietobjektes.

Die Stadt treibt den Klimaschutz voran. Wo besteht Nachholbedarf?

Gentzsch Das erste Klimaschutzkonzept hat der Rat in 2017 verabschiedet und die bis Anfang 2023 umzusetzenden Maßnahmen festgelegt. Der dritte Jahresbericht liegt vor. Das Ziel, ein klimaneutrales Ratingen zu erreichen, hat der Rat schon beschlossen. Um dorthin zu kommen, muss die gesamte Stadtgesellschaft umdenken und neue Wege gehen, weniger Pkw einsetzen und benötigte Fahrzeuge auf E-Betrieb mit zu schaffender Ladeinfrastruktur umstellen. Bei Lkw und Nutzfahrzeugen stehen wir mit abgasfreien Antrieben deutschlandweit am Anfang. Zudem muss die energetische Sanierung von Bestandsgebäuden gesteigert werden. Dämmungen, neue Fenster und emissionsarme Heizungen helfen weiter, auch um Heizkosten zu senken. Attraktive Förderprogramme stehen zur Verfügung, zum Beispiel bei der KfW. Wiederverwendbare, gut recyclebare und mit weniger Energie hergestellte Baumaterialien gehören in die Neubauten der Zukunft. Beispiele zeigen, dass dies zu vertretbaren Kosten möglich ist.

Jeder kann in seinem Umfeld etwas fürs Klima tun. Wie sieht das bei Ihnen persönlich aus?

Gentzsch Photovoltaikanlage und Solarthermie haben wir seit mehreren Jahren auf dem Dach. Damit kann unser erster E-Kleinwagen geladen und tagsüber Strom für Elektrogeräte sowie Warmwasser für einen Teil des Hauses gewonnen werden. Zudem versuchen wir alle – so oft es geht – mit dem Fahrrad zu fahren, auch mit einem E-Bike für längere Strecken. Das Familienauto für unsere Großfamilie ist ein Euro 6 Diesel. Dies soll der letzte Wagen mit Verbrennungsmotor gewesen sein. Was noch fehlt, sind Stromspeicher und die wärmeoptimierte Sanierung unseres Hauses. Eine Wildblumenwiese und mehrere Hochbeete im Garten sind angelegt.

Ratingen im Jahr 2030: Was muss bis dahin mit Blick auf den Klimaschutz erreicht sein?

Gentzsch Zuerst muss das Klimaschutzkonzept fortgeschrieben werden. Diesen Prozess wollen Bürgermeister Klaus Pesch und ich zusammen jetzt einleiten. Um Klimaneutralität zu erreichen, werden wir sehr anspruchsvolle und messbare Ziele brauchen. Zum Beispiel in der Art, dass alle Gebäude im Stadtgebiet bis zu einem bestimmten Datum mit Solaranlagen ausgestattet sind. Dass wir bis 2024 im städtischen Fuhrpark alle Pkw auf E-Antriebe umstellen, ist als Ziel bereits formuliert und wird erreicht. Bis 2030 sollten wir uns vornehmen, die Hälfte der städtischen Lkw wasserstoffbetrieben zu fahren. Erste sich klimaneutral versorgende Stadtquartiere müssen entstehen, die Fahrradwege und der ÖPNV gestärkt werden. Bürgermeister Klaus Pesch und ich sind begeisterte Radfahrer, sodass der Grundgedanke „Vorfahrt Fahrrad“ für uns auf der Hand liegt. Ich glaube, dass neue Techniken und Lebensweisen für mehr Entschleunigung und Wohlbefinden führen können – ohne an Wirtschaftskraft zu verlieren.

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