Lesung in Heiligenhaus Die 1920er Jahre: Voller Leben und Elend

HEILIGENHAUS · Ute Kranz und Svenja Johannsen unternahmen am Umweltbildungszentrum eine Lesereise ins vorige Jahrhundert. Es gibt noch genug Stoff für eine mögliche Fortsetzung.

 Svenja Johannsen (l.) und Ute Kranz gestalteten den Abend am Umweltbildungszentrum.

Svenja Johannsen (l.) und Ute Kranz gestalteten den Abend am Umweltbildungszentrum.

Foto: Achim Blazy (abz)

Sommerfrische, das ist die Zeit, in der man die Arbeit ruhen lässt und sich an einen Ort mit angenehmem Klima begibt. Also echter Vorbildcharakter für eine Lesung, die am Samstagabend nicht nur auf die Wiese am Waldrand des Umweltbildungszentrums einlud, sondern gleichzeitig auch zu einer Zeitreise.

Es ging in entspannter Atmosphäre ein gutes Jahrhundert zurück in die 1920er Jahre, eine Zeit, die sich aus heutiger Sicht wie eine Art „Wartebereich“ anfühlen würde, findet Regisseurin Ute Kranz. „Eine Zeit im Dazwischen“, sagt sie. Gemeinsam mit Svenja Johannsen teilte sie sich an dem lauen Sommerabend eine Kiste voller Bücher, die auf ihre ganz eigene Weise zur Wundertüte wurde und in ein spannendes Jahrzehnt entführte. Romane und Gedichte, ebenso wie die ganz charakteristischen Schlager dieser Zeit wechselten sich ab und setzten Schlaglichter auf Szenen einer Ära in „Kunst, Kultur, Alltäglichem.“

Eine Konstante dabei: „Fabian“ von Erich Kästner. Immer wieder ging der Griff zu dem Buch, das 1931 erschien, und das, so betont das Duo, auf ganz besondere Art alle Strömungen der 1920er Jahre darstelle. Als Veranstalter war die VHS im Boot, für die hatte das Duo bereits vor gut anderthalb Jahren eine Lesung mit eigenen Texten konzipiert, doch der erste Lockdown kam dazwischen. „Als wir die Lesung dann im September endlich nachholen konnten, war VHS-Chef Rüdiger Henseling so begeistert, dass er sofort sagte, er wolle noch mal was in die Richtung machen“, sagt Kranz. Dass es dann eine Lesung über diese Ära werden sollte, die oft auch als die „goldenen Zwanziger Jahre“ gelten, war dem Duo dann schnell klar. „Und dass der Fabian unbedingt rein muss“, sagt Johannsen. 

Mit „Menschen im Hotel“ (1929) von Vicki Baum und „Gilgi. Eine von uns“ (1931) von Irmgard Keun ging die Reise dann auch jeweils ins Berlin als „Weltstadt und geistiges Zentrum“, aber auch das „Sündenbabel“ und in das Köln eben jener Epoche. Arbeitslosigkeit war dabei genau so Thema wie der Dadaismus von Hugo Ball, aber auch eine sich schnell wandelnde politische Atmosphäre. Svenja Johannsen sei dabei im Vorfeld auf der Suche nach einem Motto gewesen, oder einer Überschrift: „‚So viel Leben, so viel Elend‘ vielleicht. Oder ‚So viel Irrsinn‘.“

Es waren letztendlich die Gegensätze, die sich als Schwerpunkt herauskristallisierten. „Die 1920er Jahre gelten als die Zeit nach dem Krieg und die Zeit vor dem Krieg, aber dazwischen war so viel mehr“, sagte Kranz zur Eröffnung des Abends. „Was die Zeit der 1920er Jahre betrifft, wissen wir, was passierte. Ist unsere Zeit jetzt die Zeit zwischen Pandemie und Klimakatastrophe?“, fragt Kranz und erblickt so manche Parallele. Die Zuschauer folgten auf ihren Stühlen oder hatten es sich auf Picknickdecken bequem gemacht, trugen vereinzelt auch Kleidungsstücke, die auch in die 20er Jahre gepasst hätten und lauschten entspannt der spannenden Auswahl an Texten und Musik. „Wir hatten noch so viele Texte in der Auswahl, dass wir rigoros aussortierten mussten“, sagen Kranz und Johannsen.

Eine weitere Lesung? Das Duo wäre dabei. Denn was stellte schon Kästners Fabian fest: „Wir leben in einer großen Zeit“, sagte er, „und sie wird jeden Tag größer.“ 

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