Ratingen Kassenpatientin in Not

Düsseldorf · Helmut Steigerwald wollte für seine erkrankte 83-jährige Mutter einen Facharzttermin machen. Er wurde auf Juni 2010 vertröstet. Dann gab er sich als Privatpatient aus – und wäre sofort dran gekommen.

Helmut Steigerwald wollte für seine erkrankte 83-jährige Mutter einen Facharzttermin machen. Er wurde auf Juni 2010 vertröstet. Dann gab er sich als Privatpatient aus — und wäre sofort dran gekommen.

Sind Kassenpatienten Menschen zweiter Klasse? Diese Frage hat Helmut Steigerwald, Beiratsvorsitzender von 04/19, längst für sich mit "Ja" beantwortet. Seine 83-jährige akut erkrankte Mutter, Kassenpatientin, war vom Hausarzt zum Fachmediziner überwiesen worden: Ein kurzfristiger Termin sei absolut notwendig, war ihr mit auf den Weg gegeben worden.

Doch ein Anruf in einer Ratinger Praxis ergab: Man sei "bis Juni 2010" ausgebucht. Steigerwalds Wunsch, mit dem Arzt zu sprechen, sei "schnippisch" abgelehnt worden.

Tags drauf gab sich Steigerwald in derselben Praxis als Privatpatient zu erkennen, ausdrücklich "ohne gravierende Beschwerden" und bat um eine rein vorsorgliche Untersuchung: "Spontan wurde mir ein Termin innerhalb einer Woche angeboten."

Bei "akuten Beschwerden", so erfuhr er staunend, sei ein Termin sogar noch früher möglich. Steigerwald ist sauer: "Es kann nicht sein, dass ein finanzielles Zwei-Klassen-Denken zu einer Zwei-Klassen-Medizin führt, in der nur noch Umsatz und Gewinn zählen. Wer anders denkt, sollte seinen Äskulapstab auf seinem Praxisschild durch ein Dollarzeichen ersetzen." Alternativ empfiehlt Steigerwald den Hinweis "Kassenpatienten unerwünscht".

Karin Hamacher, Pressereferentin der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein, hat vollstes Verständnis für Steigerwalds Wut: "So etwas ist nicht normal, das gehört sich nicht. Das ist nicht nachvollziehbar."

Für alle Fachrichtungen sei diese lange Wartezeit "sehr ungewöhnlich". Gerade bei älteren Leuten könne in einer so langen Zeit einiges passieren und sich der Gesundheitszustand verschlechtern. Grundsätzlich sei es aber so, dass es in bestimmten Fachrichtungen zu wenige Ärzte gebe: Das gelte zum Beispiel für Kardiologen, Angiologen, Rheumatologen und Orthopäden. Und wenn dann noch ein "guter Ruf" dazukomme, sei es eben schwer, bei seinem Wunscharzt einen Termin zu bekommen. Ratinger wissen, dass es vor Ort auch an Augenärzten mangelt.

Hamacher empfiehlt, mit dem Hausarzt zu sprechen. Der könne sich mit seinen Kollegen kurzschließen: "Das ist der bessere Weg." In Düsseldorf gebe es zum Beispiel ein fachübergreifendes Netzwerk von Ärzten.

Im Übrigen sei es nicht so, dass Ärzte auf Kassenpatienten verzichten könnten: Es gebe nur ganz wenige, die ohne diese Klientel existieren könnten. Das hänge auch stark von der Region ab, in der sie praktizierten. Hamacher: "Die meisten Ärzte brauchen die Kassenpatienten." Das bilde so eine Art Grundstock des Einkommens.

Helmut Steigerwald hat übrigens für seine kranke Mutter inzwischen einen Termin bekommen: heute bei einem Düsseldorfer Doc. Sein Hausarzt hatte ihm den Kollegen empfohlen.

(RP)
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