Ratingen Ist denn schon Weihnachten?

Düsseldorf · Wenn Pappmaché-Rehlein mit rotleuchtenden Lichterschläuchen im Gehörn im Schaufenster sitzen – ist das schon Weihnachtsschmuck oder überbordender herbstlicher Dekorationsspaß? Ein Spaziergang durch die Stadt.

Wenn Pappmaché-Rehlein mit rotleuchtenden Lichterschläuchen im Gehörn im Schaufenster sitzen — ist das schon Weihnachtsschmuck oder überbordender herbstlicher Dekorationsspaß? Ein Spaziergang durch die Stadt.

Pappmaché-Rehlein hin oder her — Christbaumkugeln, Lametta, Engelshaar und Sprühschnee aber sind eindeutig Accessoires für das ehedem heilige Christfest, im Kalender auf den 24. Dezember festgezurrt. Dass das noch zwei Monate von uns entfernt ist, irritiert den Handel auch in der Dumeklemmerstadt ganz offenbar nicht.

Natürlich kann man Baumkuchenspitzen und Spekulatius auch dann mit Glühwein runterspülen, wenn man gerade die Koffer aus dem Sommerurlaub auspackt. "Man" zwingt ja auch Sangria, sozusagen kalten Glühwein, ohne Brechreiz runter. Manches Gebäck wird im Spätsommer unter einem eher wertfreien Namen angeboten. Doch das ist jetzt vorbei.

Stollen heißt jetzt Christstollen und hat eine Glimmerverpackung, Pralinen stecken in überdimensionierten Goldverpackungen und können schon mal als Adventskalender auf Halde gelegt werden, die lila Kuh mutierte zur lila Tasse und ist mit dumpf grinsenden Männchen und geweihtragendem Getier zu kleinen Präsenten in Klarsichtfolie gebündelt.

Von Printen ist lange Haltbarkeit bei ungebrochener Schmackhaftigkeit bekannt und auch gewollt. Wie aber ist es mit Butterplätzchen und Spritzgebäck, die in den Ratinger Geschäften feilgeboten werden? Sollen die schon jetzt irgendwie gehortet werden und Ende Dezember immer noch begeistern?

Natürlich hauen die anerkannten Frauenzeitungen gegenwärtig wie auf Kommando ihre Back-Beilagen raus, in der nächsten Woche spätestens werden dann die Bastelhefte und Wunschzettel-Vorschläge folgen. Material zum Werkeln liegt bereit.

Das Laub hängt noch am Baum, Omas Grab zu Allerseelen ist noch nicht geschmückt, da stehen die Enkel schon vor einer unsäglichen Entscheidung: Christbaumschmuck in Lila, Grün, Türkis, Braun, Maulwurf — auch Taupe genannt —, Champagner, tatsächlich auch noch in Silber und Rot, in matten oder glänzenden, riesigen, minimalen, mittleren Kugeln, besprüht, gefleckt, gestreift, bemalt. Alles schon am Start. Lichterketten gibt es, bis das Kraftwerk glüht, auch Geschenkband, -papier, -tüten. Zwischen den Adventskalendern unterschiedlicher Farbigkeit gibt es welche, die nicht auf "Christmas" hinführen, sondern auf "Sexymas". Sie präsentieren spärlichst bedeckte Frauen oder Männer.

In Lebensmittelgeschäften, und nicht nur dort, versperren saisonale Pappregale den Weg, in denen Lametta, Ersatzbirnen, Geschenkanhänger und Kugelhalterungen, daneben Kunststrohkränzchen und Rentiere aus Filz, gelagert werden. Bei manchem Produkt möchte man meinen, es komme so früh in den Handel, weil man sich in vielen Wochen an seine Hässlichkeit gewöhnen muss.

Vor allem die Mitglieder der Weihnachtsmann-Fraktion müssen hart im Nehmen sein: Die pausbäckigen, dicklichen Bartträger vermehren sich dekorationsmäßig wie Fruchtfliegen, während die Vertreter des Christkindgedankens eher über die Darstellung des Engel-Begleitpersonals ins Grübeln kommen könnten. In den Gartencentern steppt der Nikolaus, glüht, blüht und glitzert es.

Schmücken bis zum Sehsturz

Überraschenderweise fehlen zum kommerziellen Weihnachtsgefühl noch die flächendeckenden Geschäftsdekorationen, aus denen elektronische Perlen adventlichen Liedguts herabrieseln. Also: Zu Knabbern gibt es genug, zu Essen auch (TK-Gänse, Rotkohl und Co.), man kann schmücken bis zum Sehsturz, schenken auch. Die Regale sind voll. Das Fest könnte morgen schon gefeiert werden.

Wie schön und gescheit, dass sich die Ratinger Kirchen, sozusagen die weihnachtlichen Chefveranstalter, mit ihrem Programm zur Stillen Nacht noch zurückhalten. Da kann ja dann doch noch Stimmung aufkommen.

(RP)
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