Interview Pfarrer Frank Wächtershäuser „Hier erlebt man echte Gemeinde“

Frank Wächtershäuser war fast 36 Jahre Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Lintorf-Angermund.

 Pfarrer Frank Wächtershäuser steht kurz vor dem Ruhestand. Er betont: „Ich wünsche meiner Gemeinde, dass sie dem Evangelium die Treue hält und dass sie bereit ist, dabei Verantwortung zu übernehmen.“

Pfarrer Frank Wächtershäuser steht kurz vor dem Ruhestand. Er betont: „Ich wünsche meiner Gemeinde, dass sie dem Evangelium die Treue hält und dass sie bereit ist, dabei Verantwortung zu übernehmen.“

Foto: Blazy, Achim (abz)

Der Abschied als Pfarrer in Lintorf naht, dies nach fast 36 Jahren. Wie blicken Sie auf diese lange Zeit zurück?

Wächtershäuser: Dankbar. Ich weiß, woher ich komme. Das Leben, das ich als Pfarrer in Lintorf führen konnte, ist viel reicher gewesen als das Leben, das ich als Jugendlicher in Kassel geführt habe. Lintorf ist der Ort, wo ich geheiratet habe, wo unsere Kinder geboren sind. So wurde der Ort uns zur Heimat. Kirchlich gesehen ist Lintorf ein Sammelbecken. Die meisten, denen ich begegnet bin, stammen nicht aus der Region. Sie kamen als „Neu-Lintorfer“ hierher und brachten ihre kirchliche Prägung und mancherlei Anregungen mit. Dies gruppiert sich vor Ort zu immer neuen Konstellationen und Möglichkeiten. Fast alle begegneten mir mit Respekt, die meisten sogar mit großer Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit. Im Büro und auf der Straße sprechen sie meist nicht über ihren Glauben. Dadurch kann man einen falschen Eindruck gewinnen. Im persönlichen Gespräch aber nehmen die meisten ihren Glauben sehr ernst. Oft wurde mir spontan so viel Vertrauen entgegengebracht, als sei ich ein Familienmitglied. In so einem Klima lässt sich gut arbeiten. Natürlich gibt es auch Kirchenaustritte, doch nur selten stieß ich dabei auf Namen, die ich kenne. Ach ja, das darf nicht fehlen: Ich hatte super-tolle Mitarbeitende. Die Dienstaufsicht zum Beispiel für Andreas und Hanni Nemenz oder für Bettina Borsch war einfach eine Freude und einer der Gründe, warum ich so lange geblieben bin.

Wie hat sich das Berufsbild des Pfarrers im Laufe der Jahre verändert?

Wächtershäuser Aus meiner Sicht erstaunlich wenig. Normalerweise schrumpft ein Pfarrbezirk, wenn in jedem Haus weniger Menschen wohnen. In meinem Pfarrbezirk in Lintorf-Süd gab es aber zur Jahrtausendwende drei große Neubaugebiete. Lange Straßen mit über 150 Häusern samt Nebenstraßen kamen hinzu. Hunderte von jungen Familien kamen und zogen dort ein. Das glich die Verluste aus. Lintorf ist weiterhin ein junger Stadtteil. Die Anzahl der Taufen lag bei mir meist leicht über der Zahl der Beerdigungen. Gottesdienste sind weiterhin beliebt. Hier erlebt man echte Gemeinde. Reformansätze blieben oft in den Ansätzen stecken. So werden Angebote für eine „Kirche im Gespräch“, wie sie durch den Bau von Gemeindezentren angestoßen werden sollte, nur von einer Minderheit angenommen. Nach innen sind die Veränderungen stärker. Die Leitung der Gemeinde ist weniger pfarrerzentriert. Presbyter und Presbyterinnen sind selbstbewusster geworden. Das ist wirklich ein Fortschritt. Die stärkste Veränderung nach außen betrifft wahrscheinlich die Bestattungskultur. Ich hätte mir vor einigen Jahren nicht vorstellen können, dass evangelische Gemeindeglieder ohne Grab und Trauerfeier einfach verschwinden.

Sie haben sich für Projekte im Kongo stark gemacht. Was wird aus dieser Zusammenarbeit?

Wächtershäuser Sie soll auf jeden Fall fortgesetzt werden. Die Verlängerung des Partnerschaftsvertrages mit den beiden Kirchenkreisen Ingende und Dianga ist beschlossene Sache. Wie dieser Vertrag durch Kontakte, Besuche und Projekte weiter mit Leben erfüllt wird, muss geklärt werden. Ich hätte durchaus Interesse, dies weiter mitzugestalten. Schau’n wir mal! Im Sommer planen wir wieder eine Delegationsreise in den Equateur. Wer von dort zurückkommt, sieht die Welt danach mit anderen Augen. Wenn Sie den Wasserhahn aufdrehen, und es kommt klares, sauberes Trinkwasser heraus, dann wissen Sie, dass Sie weltweit zu einer kleinen, privilegierten Minderheit gehören. Gäbe es diesen Luxus in Ingende oder in Dianga, dann wären die meisten gesundheitlichen Probleme dort mit einem Schlag gelöst. Wir hier brauchen diese Zusammenarbeit, um uns selbst zu begreifen.

Haben Sie schon Pläne für Ihren Ruhestand?

Wächtershäuser Jede Menge! Ich ziehe gern mit Fernglas und Fotoapparat durch die Natur, mache Urlaub an entlegenen Ecken wie der Camargue oder dem Oderbruch. Die Engländer nennen das „birding“. Ich lese gern dicke und auch schwierige Bücher, möchte gern ab und zu weiter Gottesdienste halten, alte Freundschaften wieder auffrischen. Also: Das mit dem Ruhestand dürfen Sie nicht zu wörtlich nehmen. Bequemlichkeit finde ich eher langweilig.

Welche Wünsche haben Sie für Ihre Gemeinde?

Wächtershäuser Wir sind als Gemeinde in einer Umbruchphase. Bewährte Kräfte gehen „von Bord“. Das betrifft zum Beispiel auch Bernd Löhr, der über 40 Jahre Presbyter und Kirchmeister war. Aber auch neue Leute kommen oder legen sich mit Eifer ins Zeug. Raili Volmert zum Beispiel war in den letzten Monaten eine fulminant gute Vorsitzende. Mit Martin Jordan wurde ein neuer Pfarrer gewählt, der schnell Akzeptanz gefunden hat. Neue Menschen engagieren sich im Moment, um den Übergang zu meistern. Doch wir fahren auf Sicht. In zwei Jahren wird sich vieles neu gefunden haben. Ich bin  insgesamt sehr zuversichtlich. Ich wünsche meiner Gemeinde, dass sie dem Evangelium die Treue hält und dass sie bereit ist, dabei Verantwortung zu übernehmen. Denn eine Gemeinde, die die christlichen Inhalte nur noch verwaltet, braucht niemand.

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