Ratingen Hobbyforscher heben Klöckners Fotoschätze

Ratingen · Die Jonges stemmen im Stadtarchiv ein schier unglaubliches Vorhaben: Sie organisieren den fotografischen Nachlass des früheren RP-Fotografen Reiner Klöckner.

 RP-Fotograf Reiner Klöckner in jungen Jahren.

RP-Fotograf Reiner Klöckner in jungen Jahren.

Foto: Blazy, Achim

Die Jonges stemmen im Stadtarchiv ein schier unglaubliches Vorhaben: Sie organisieren den fotografischen Nachlass des früheren RP-Fotografen Reiner Klöckner.

 Ein Kriegsversehrter in Ratingen, aufgenommen von Reiner Klöckner.

Ein Kriegsversehrter in Ratingen, aufgenommen von Reiner Klöckner.

Foto: Blazy, Achim

Die Jonges ordnen die ihnen vorliegenden Negative den Fotos zu, die sie in gebundenen Zeitungsbänden des Ratinger Teils der Rheinischen Post finden und registrieren die Erscheinungsdaten. Wohlgemerkt: Es handelt sich um knapp 500 000 Negative, die von ihnen — wenn sie digitalisiert vorliegen — irgendwie auf die Reihe gebracht werden müssen.

 Jeden Dienstag heben sechs bis zehn Ratinger Jonges, dazu zwei unorganisierte Frauen, von 15 bis 17 Uhr im Keller des Stadtarchivs die Fotoschätze.

Jeden Dienstag heben sechs bis zehn Ratinger Jonges, dazu zwei unorganisierte Frauen, von 15 bis 17 Uhr im Keller des Stadtarchivs die Fotoschätze.

Foto: Blazy, Achim

"Unverzagt" ist wahrscheinlich das geeignete Adjektiv, das man ihrem Tun verpassen sollte. Heiter bis fröhlich kann man die Stimmung dennoch nennen, die sich einmal pro Woche im eher zweckbetonten Kellerraum breitmacht. Dann gehen die Foto-Forscher ans Werk. Das Stadtarchiv hat bereits einen Teil der Negative digitalisieren lassen — was nach und nach, der Haushaltslage entsprechend, mit allen Exemplaren geschehen wird.

 Stadtarchivarin Erika Münster-Schröer hatte Unterlagen und Negative, die in 15 Weinkisten gelagert waren, eigenhändig ins Haus geholt. Bei der Arbeit ist Vorsicht geboten – Negative sind empfindliche Ware.

Stadtarchivarin Erika Münster-Schröer hatte Unterlagen und Negative, die in 15 Weinkisten gelagert waren, eigenhändig ins Haus geholt. Bei der Arbeit ist Vorsicht geboten – Negative sind empfindliche Ware.

Foto: achim blazy

Die Fotos werden dann per Beamer an die Wand projiziert. Eine oder einer blättert im Zeitungsband, einer bewegt per Laptop die Bilder vor und zurück, und bald schon sieht man das veröffentlichte Foto. Das geht für die heimatverbundenen Macher schneller als für ungeübte Betrachter.

Während das allgemeine Ratespiel ("Ach, ist das der Emil?") die Betrachter beschäftigt, blättert einer von ihnen emsig, Daumen- und Zeigefinger mit grünem, stacheligen Gummimützchen geschützt, durch den entsprechenden, inzwischen ziemlich vergilbten Zeitungsband. Und meist dauert es nicht lange, bis man zum Beispiel die gesuchte Brücke als die Eisenbahnbrücke zwischen Kettwig und Heiligenhaus nahe der Talburg identifiziert hat. Das wird dann aufgeschrieben. Man blättert weiter, es kommt das nächste Foto dran, es gibt einen flotten Spruch. "Das ist doch da, wo der Helmut..." Haha, der Rest wird weggelacht.

Die Mitglieder der Truppe sind zwischen 55 und 87 Jahren alt, was ihre Vornamen schon ahnen lassen. Man kann jeden von ihnen als Ratinger Urgestein bezeichnen und braucht sich nicht über aufblitzende Ironie und kleine Sticheleien gegeneinander zu wundern. Die wirklich zuverlässigen Helfer sind Christa Amberg und Angelika Schöttler, Willy Schröder und Willi Nüsser, Hans-Willi Schmitz-Audeck, Manfred Günther, Karl-Heinz Dahmen, Ludwig Blumenkamp, Gottfried Oberbanscheidt, Klemens Michels, Volker Boix und Helmut Pfeiffer. Und sie sind seit dem Februar 2011 im Keller am Werk. Davor hatte sich das Stadtarchiv öffentlich nach Hilfe für diesen Job umgesehen, den eigene Kräfte nicht erledigen konnten.

Zuvor nämlich war dem Archiv der Klöckner-Nachlass angeboten und dann angekauft worden. Stadtarchivarin Erika Münster-Schröer hatte Unterlagen und Negative, die in 15 Weinkisten gelagert waren, eigenhändig ins Haus geholt.

Denn die Bilder, die der RP-Fotograf in den Jahren von der Verkündigung des Grundgesetzes 1949 bis zum Jahr 1993 in Ratingen und Umgebung gemacht hatte, stellen eine nahezu lückenlose Dokumentationsstrecke der Ratinger Nachkriegsgeschichte vom Trümmergrundstück bis zum feschen Stadtbild, vom namenlosen Kriegsverletzten bis zum stadtbekannten Ortspolitiker, zum Passanten auf dem Markt, zu Kind und Oma dar. Wenn auch ausschließlich in Schwarz-Weiß. Klöckner hatte - bei der Fülle von Fotos, die er täglich machte — die belichteten Negativstreifen aufgerollt und in Blechdosen gelagert. Eine Arbeit, die sich ein heute fotografierender Mensch mit Digitalkamera und Chip kaum mehr vorstellen kann.

Münster-Schröer hatte die versunkenen historischen Schätze gleich als solche erkannt, sich tatkräftig um deren Hebung gekümmert und Klöckners Nachfolger bei der Rheinischen Post, den Fotografen Achim Blazy, zu deren vorsichtiger Sichtung gebeten.

Dabei ging es nicht darum, aus den gelagerten und mit Jahreszahlen beschrifteten Blechdosen die zum jeweiligen, vorhandenen Jahres-Zeitungsband passenden Fotos aufzutreiben, sondern Wert und Qualität der vorliegenden Dokumente zu begutachten. Und da konnte sich Blazy einen guten Überblick verschaffen: Die Negative und ihre Sujets waren in Ordnung.

Filme sind, neben all dem, was inzwischen zu ihrer Lagerung im weitesten Sinn denkbar ist — wie DVD oder Fotos — immer noch für die Langzeitarchivierung am besten geeignet. Die Lagerung ist das eine, die Katalogisierung das andere. Dazu mussten die Filme, inzwischen zu Streifen in kleinen Papiermäppchen untergebracht, digitalisiert werden; gegenwärtig ist das mit 35 000 Aufnahmen geschehen. Und damit vergnügen sich nun die Jonges im Archiv-Keller.

Reiner Klöckner gehörte zu den Zeitgenossen, die anscheinend alterslos durchs Stadtgeschehen zu toben scheinen, der täglich im Schwimmbad seine Bahnen zog, liebevoll die Diamantenen Hochzeitspaare an ihrem Ehrentag in anmutige Sitzposition drapierte und mit seiner ansteckenden Fröhlichkeit oft zunächst muffige Menschen als danach freundliche Leute aufs Foto bekam.

Er hätte nirgendwo in "Ratingen-Kettwig-Angerland" und benachbarten Verbreitungsgebieten der Rheinischen Post-Ausgaben wie Velbert und Neviges inkognito unterwegs sein können. Er kannte Gott und die Welt und die kannten ihn auch. Inzwischen ist er, der 1923 zur Welt gekommen war, seit elf Jahren tot und wird von seiner Frau Traudel sehr betrauert.

Dies alles wissen die Jonges auch, wenn sie die Bilder sichten. Da sie ihren freiwilligen Job seit fast anderthalb Jahren erledigen und bereits Negative und Fotos aus fünf Jahresbänden einander zugeordnet haben, läuft die Arbeit zügig.

Man ist aktuell bis zum 21. März 1960 gekommen, mit einem der damals jährlich überaus beliebten Schmuckbilder aus Kettwig: Osterglocken ganz groß im Vordergrund, im Hintergrund klein, aber fein die Altstadt von Kettwig mit dem Turm der evangelischen Kirche. Wenn man die Perspektive betrachtet, kann man sich genau vorstellen, wie sich Reiner Klöckner in die Grasnarbe geduckt hat, um genau diese Foto zu machen.

Die Jonges haben in ihren Vereinsstatuten von 1857 schon festgelegt, dass sie sich um die "Pflege des heimatlichen Brauchtums kümmern wollen und darum, dass sich die Ratinger bei Geselligkeit näher kommen". Sie haben aber auch Kunstobjekte initiiert und bezahlt und mit Mundartkreis und Veranstaltungen Heimatverbundenheit demonstriert. Karl-Heinz Dahmen, Ehren-Baas, Turm-Baas (das heißt, verantwortlicher Jong bei der Restaurierung und Ausgestaltung des Dicken Turms) und auch beim Fotoprojekt im Stadtarchiv aktiv, sieht sich und die Jonges deshalb schon fast in der Pflicht, Zeitzeugnisse festzuhalten und so für die künftigen Ratinger aufzuarbeiten, dass sie bei Bedarf einen klaren Blick in die Vergangenheit bekommen können. Und, was wirklich schön ist an der Aktion und den Akteuren: Da sitzt niemand rum und nöhlt maulig rum, von wegen "Immer wir und sonst macht das ja niemand und überhaupt...".

Selbst die beiden Ratingerinnen, die ja nun wahrlich nicht zum eingetragenen Herrenverein gehören dürfen, können dennoch ihren geballten Heimatverstand mitbringen und die Ordnungsarbeit vorantreiben — so viel Toleranz muss um der Sache willen sein.

Es geht halt um die Heimat.

(gaha)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort