Interview: Mit Christian Mörsch Herbst-Depressionen müssen nicht sein

Ratingen · Die Psyche braucht den Jahreszeitenwechsel, sagt der Experte. Der Herbst ist geprägt vom Loslassen und der Winter von der Ruhe. Für den Mitteleuropäer ist das ein gesunder Zyklus.

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kreis mettmann Immer gutes Wetter, immer prächtige Laune. Auf Dauer wäre uns das wohl gar nicht zuträglich. Körper und Psyche brauchen den zyklischen Takt der Jahreszeiten und das Auf und Ab der Stimmung, um sich zu regenerieren und sich immer wieder neu zu orientieren. Wir sprechen darüber mit dem Sozialpsychologen Christian Mörsch.

Für Körper und Psyche ist der Rhythmus der Jahreszeiten unverzichtbar?

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Foto: Shutterstock/Luna Vandoorne

Mörsch An einem wolkenlosen Sommertag mag man sich schon oft gewünscht haben, dass es möglichst bis Weihnachten so weitergehen könnte. Allzeit Sonne, Wärme und gute Laune. Wahrscheinlich wäre uns Mitteleuropäern dies aber auf Dauer gar nicht zuträglich. Der Wechsel der Jahreszeiten sorgt in der Natur für einen Wechsel aus Aktivität und Ruhe. Für die Psyche bedeutet das tendenziell gute Laune im Frühjahr und Nachdenklichkeit sowie das Bedürfnis nach Ruhe im Herbst. Letztendlich ist dies genau das, was ein gesundes Leben ausmacht: Phasen des Wachstums und der Aktivität wechseln mit Phasen der Ruhe und Erholung ab.

Welche Qualitäten haben Frühling, Sommer, Herbst und Winter - und wie können wir sie nutzen?

Mörsch Der Frühling steht für Neubeginn, für Aufbruch und Wachstum. Es werden Pläne geschmiedet, der Garten wird umgegraben. Auch der Sommer ist noch durch Aktivität geprägt. Vermehrt spielt jedoch der Genuss eine Rolle: Zusehen, wie das, was im Frühjahr gesät wurde, nun blüht. Wir wollen die angeblich schönste Jahreszeit auskosten und genießen. Der Herbst beinhaltet die Qualitäten der Dankbarkeit und des Loslassens. Während die Tage kürzer werden und die Bäume ihre Blätter verlieren, werden auch wir daran erinnert, dass Loslassen die Voraussetzung dafür ist, um etwas Neues entstehen zu lassen. Der Winter steht für Ruhe, Geborgenheit und Entspannung.

Uns stehen dunkle Monate bevor. Kann man sich darauf einstellen?

Mörsch Tatsächlich gibt es bei einigen Menschen eine im Herbst oder Winter auftretende depressive Störung. Man spricht dann von einer saisonal abhängigen Depression. Die Ursache kann in einer unzureichenden Anpassung des Körpers an kürzere Tage liegen. Aber auch im Herbst und Winter können wir für gute Laune sorgen. Beide Jahreszeiten sind lebens- und liebenswert. Wer sich keine bewussten Ruhephasen gönnt, steht unter Stress und kann in einem Burnout zu enden.

Ist es in unserer schnelllebigen Zeit überhaupt möglich, sich auf Besinnung und Innenschau einzulassen?

Mörsch Durchaus, wenn wir uns Zeit hierfür nehmen. Das geht sicher nicht an jedem Tag. Eine bewusste Auszeit nach Feierabend ist aber in den meisten Fällen möglich oder ein Sonntag, der mal nicht mit privaten Terminen ausgebucht ist. Vor allem der permanent laufende Fernseher sorgt bei vielen Menschen dafür, dass sie keine Möglichkeit zur Besinnung haben und innerlich nicht zur Ruhe kommen. Auch wenn im Winter das Fernsehprogramm attraktiver ist als im Sommer: Wie wäre es zumindest mit einem fernsehfreien Abend in der Woche?

Kann man mit einer optimistischen Sicht zum "Lauf der Dinge" wirklich etwas ausrichten, oder sind wir dem Einfluss der Jahreszeiten ausgeliefert und müssen lernen, etwas hinzunehmen, dass man nicht ändern kann?

Mörsch Erwarten wir eine triste Zeit, wird sie auch trist. Letztendlich kommt es immer auch auf uns an, was wir aus einem Tag machen oder wie wir über eine Jahreszeit denken. Glücklich sind vor allem die Menschen, die jeder Jahreszeit etwas abgewinnen können: dem Herbst mit seinen bunten Blättern und reifen Früchten, dem Winter mit gemütlichen Teestunden, Sauna und Schneeballschlachten, dem Frühling mit seinen ersten wärmenden Sonnstrahlen und dem Sommer mit seinen lauen Abenden und Freibadbesuchen. Auch im Winter kann es schön sein, nach draußen zu gehen und die klare Luft zu atmen, dem Nebel zuzusehen, der über den reifbedeckten Wiesen liegt oder das leise Knirschen frisch gefallenen Schnees unter den Schuhen zu genießen.

DIE FRAGEN STELLTE SABINE MAGUIRE

(RP)
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