An(ge)dacht Gott ist immer aufmerksam

Ratingen · Dass man im Gottesdienst sitzen darf, ist der Reformation zu verdanken. Vor Martin Luther feierte man die Liturgie stehend, kniend oder gehend, so bis heute in orthodoxen Gemeinden. Erst Ende des 14. Jahrhunderts gab es in bayrischen Kirchen vereinzelt Sitzgelegenheiten für die Gläubigen. In den Landstrichen, wo sich die Reformation durchsetzte, wurden Kirchen mit Stühlen ausgestattet. Denn jetzt rückte die Predigt in den Mittelpunkt des Gottesdienstes und nicht mehr der Empfang der Eucharistie, zu der man nach vorne ging. Damals dauerte die Predigt oft mehr als eine Stunde. Das lange Stehen hätte dem Verstehen und damit dem Glauben geschadet. Die Vermietung von Sitzplätzen war außerdem eine wichtige Einnahme der Kirchengemeinden vor Einführung der Kirchensteuer. Leider begünstigt das Sitzen im Gottesdienst den Kirchenschlaf. Schon das neue Testament berichtet, dass ein junger Mann namens Eutychus tief einschlief, weil der Apostel Paulus so lange redete. Er hatte sich auf eine Fensterbank gesetzt und stürzte im Schlaf aus dem dritten Stock. Kirchenbänke in Predigtkirchen sind also sicherer.

Die Art und Weise, wie Bänke oder Stühle im Kirchraum ausgerichtet sind, zeigt, was der Gemeinde im Gottesdienst besonders wichtig ist. Ein Mittelgang zwischen den Bänken, wie zum Beispiel in der katholischen Kirche St. Peter und Paul in Ratingen, führt direkt zum Altar: Im Mittelpunkt steht die Eucharistie. In der Evangelischen Stadtkirche findet man durchgehende Bankreihen im Mittelschiff: Im Zentrum sitzt die Gottesdienst feiernde Gemeinde, ausgerichtet auf die Kanzel. Von dort aus wird gepredigt und die Bibel ausgelegt.

Die Aufmerksamkeit Gottes gilt uns indessen auf Stehplätzen wie auf Sitzplätzen. Der Beter des 139. Psalms bekennt: "Ob ich sitze oder stehe, du weißt es, Gott."

GERT ULRICH BRINKMANN, PFARRER AN DER EV. STADTKIRCHE

(RP)
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