Kreis Mettmann Von Galkhausen in den Tod

Kreis Mettmann · Gabriele Lübke begab sich auf die Spuren ihrer Großmutter, die fünf Jahre in der Heil- und Pflegeanstalt Galkhausen weggesperrt wurde.

 Blick von der Straße auf das alte Hauptgebäude des Landeskrankenhauses (früher „Provinzial Heil- u. Pflegeanstalt Galkhausen“).

Blick von der Straße auf das alte Hauptgebäude des Landeskrankenhauses (früher „Provinzial Heil- u. Pflegeanstalt Galkhausen“).

Foto: Foto Maag/Stadtarchiv Langenfeld

Die Idee, ein Buch über ihre Großmutter zu schreiben, brauchte viele Jahre und eine umfangreiche Recherche, um zu reifen und am Ende in die Tat umgesetzt zu werden. Dabei hatte Gabriele Lübke Glück, denn – anders als in vielen Familien – sprach ihr Vater ganz offen und viel über seine Mutter Hubertina Antonette Rosa Schillings. „Er hat immer gesagt, man müsste die Geschichte seiner Mutter veröffentlichen“, erinnert sie sich zurück. Doch Gabriele Lübke fehlten fünf Jahre, die fünf Jahre, die ihre Großmutter, die sie kurz Rosa nennt, in der Heil- und Pflegeanstalt Galkhausen untergebracht gewesen war, bevor man sie 1941 mit den „Grauen Bussen“ nach Hadamar brachte, wo sie im Rahmen der von den Nationalsozialisten vertretenen „Rassenhygiene“ als „unwertes Leben“ in die Gaskammer geschickt wurde.

Doch der Zufall kam Gabriele Lübke zu Hilfe. Sie besuchte die Gedenkstätte Hadamar, machte dort eine Angehörigen-Führung mit und erfuhr, dass noch 30.000 Akten im Bundesarchiv lagerten. Darunter die Akte ihrer Großmutter aus Galkhausen. So forderte sie die Akte an. „Ich war überrascht, was drinstand“, erzählt die 1959 geborene Autorin. Denn entgegen ihrer Erwartung fand sie keine Therapieberichte, sondern fast ausschließlich Zitate ihrer Großmutter. „So konnte ich Rosa ziemlich gut kennenlernen“, verrät Lübke. Denn die junge Frau ließ sich weder den Mund verbieten, noch ließ sie sich unterkriegen. Sie betitelte Hitler als „Schweinehund“ und wehrte sich gegen die schlechte Versorgung. In einem Eintrag ihrer Krankenakte vom 16. August 1936 heißt es wörtlich „Pat. nahm beim Kaffee mehreren Kranken ihr Butterbrot fort, warf es auf den Rasen u. rief: ,Hunden legt man solche Bissen nicht vor, ich lasse mich nicht zum Tier erniedrigen.‘“

Dabei begann das Leben von Rosa Schillings unter den besten Voraussetzungen. Sie wuchs in Würselen als Tochter einer wohlhabenden Familie auf, heiratete und bekam zwei Kinder – Inge und Gregor. Als ihr Mann Jean die Leitung eines Bergwerkes in Borneo (Niederländisch-Indien) übernahm, blieb Rosa bei ihrer schwerkranken Mutter und pflegte sie bis zu deren Tod. Anschließend machte sie sich allein mit zwei kleinen Kindern auf die Reise nach Borneo auf. Dort angekommen war das Glück nur von kurzer Dauer. Ein Jahr später wurde Jean ermordet und Rosa kehrte als Witwe nach Deutschland zurück. Dann starb ihre Tochter Inge an Malaria.

Das war mehr, als Rosa ertragen konnte. Sie bekam Depressionen und musste immer wieder verschiedene Heilanstalten aufsuchen. Dazwischen lebte sie bei ihrem Vater. „Dann kam sie nach Galkhausen“, erzählt Gabriele Lübke. „Das hatte ursprünglich einen guten Ruf, denn es sollte eine humane Anstalt und keine dieser Verwahranstalten sein.“ Doch die Nationalsozialisten machten auch aus den noch so ambitioniertesten Heilanstalten Einrichtungen, die das „unwerte Leben“ bis zur „endgültigen Ausmerzung“ verwahrten – ein Vorhof zur Hölle für alle Patienten, die an psychischen Erkrankungen litten.

Gabriele Lübke nahm Kontakt zur heutigen LVR-Klinik auf, fuhr nach Langenfeld, um sich mit ehemaligen Leitungsangestellten zu treffen. „Ich hatte so viele Fragen und Langenfeld war sofort kooperativ.“ So erfuhr sie mehr über die Behandlungsmethoden, über die verabreichten Medikamente und deren Nebenwirkungen. Anhand der Transportlisten konnte sie nachvollziehen, wann ihre Großmutter von Galkhausen in die Tötungsanstalt Hadamar gebracht wurde. „An diesem Tag wurden nur Frauen transportiert“, sagt sie. „Allein 90 an einem Tag.“ Dass auch Rosa Schillings im Mai 1941 dabei war, verdankte sie der Meldung durch die Heilanstalt Galkhausen, die – wie alle anderen Anstalten auch – aufgefordert worden war, „arbeitsunfähige“ Patienten an die Abteilung T4 in Berlin zu melden.

Rosa war zum Zeitpunkt ihres Todes gerade 42 Jahre alt und alles andere als gebrechlich. Sie war unbeugsam und voll der Sorge um ihren Sohn Gregor, was Gabriele Lübke ihrer Akte entnehmen konnte. „Zuerst war ich traurig, dann kam ein Gefühl der Wut und dann kam der Stolz, dass sie so mutig war und vieles durchschaut hat“, erzählt Lübke. So trägt die Biographie, die Gabriele Lübke über ihre Großmutter geschrieben hat, den Titel „Ich bin ohne Sinnen gestorben“ und zitiert die Vorahnung von Rosa Schillings.

 Rosa Schillings (re) und Enkeltochter Gabriele Lübke, die die Geschichte ihrer Großmutter recherchierte und veröffentlichte.

Rosa Schillings (re) und Enkeltochter Gabriele Lübke, die die Geschichte ihrer Großmutter recherchierte und veröffentlichte.

Foto: Lübke/Fotomontage: Nadine Quast, Augenblicke
 Die LVR-Klinik erinnert an die Opfer des Nationalsozialismus.

Die LVR-Klinik erinnert an die Opfer des Nationalsozialismus.

Foto: Landschaftsverband Rheinland (LVR)/Martina Schramm

Mit diesem Buch hat Gabriele Lübke ihrer Großmutter ein Gesicht gegeben, das stellvertretend für die 200.000 ermordeten behinderten und psychisch kranken Menschen steht, die bis 1945 dem nationalsozialistischen Euthanasie-Programm zum Opfer fielen.

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