Ratingen Faszinierend: Europas größtes Kalkwerk

Ratingen · In Flandersbach ist alles eine Nummer riesiger. Das entdeckten die Teilnehmer des RP-Sommerspaßes bei ihrer Exkursion.

 Die Muldenkipper, "Skw" genannt, wiegen 100 Tonnen, sind sechs Meter hoch und 1000 PS stark. Die Kinder dürfen hinaufklettern, die Erwachsenen zücken die Handys.

Die Muldenkipper, "Skw" genannt, wiegen 100 Tonnen, sind sechs Meter hoch und 1000 PS stark. Die Kinder dürfen hinaufklettern, die Erwachsenen zücken die Handys.

Foto: Stephan Köhlen

Sicherheit geht vor im größten Kalkwerk Europas. Jedenfalls werden die Teilnehmer des RP-Sommerspaßes bei ihrer Exkursion gestern Vormittag im Paul-Ludowigs-Haus zunächst mit Helm, gelber Warnweste und Schutzbrille ausgestattet. Immerhin steuert der Bus mit der 35-köpfigen Besuchsgruppe gleich in den Steinbruch Flandersbach, der 230 Meter in die Tiefe reicht. Und es werden unterwegs gewaltige Maschinen vorbeifahren. Die Muldenkipper, "Skw" genannt, wiegen 100 Tonnen, sind sechs Meter hoch und 1000 PS stark.

Normalerweise sind die Kalkwerke Wülfrath für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. In Zusammenarbeit mit der Firma Lhoist haben wir bei unserem RP-Sommerspaß die Besichtigung für Schulkinder der zweiten bis sechsten Klassen, begleitet von Eltern und Großeltern, ermöglicht. "Gerade für Kinder sind das überwältigende Eindrücke, die einem so häufig nicht geboten werden", sagt Robert Buchem, der seinen Sohn Carlo (11) begleitet. "Vor 63 Millionen Jahren sind die Dinosaurier ausgestorben. Der Kalkstein, der hier abgebaut wird, ist vor circa 370 Millionen Jahren entstanden", erklärt Bernd Becks. Damals lag das Bergische Land noch auf dem Grund des Ozeans, wo sich die Überreste von Korallen und Muscheln ansammelten. 49 Jahre hat der gelernte Chemiker in den Kalkwerken gearbeitet, gibt sein Wissen nun bei Führungen weiter.

Jetzt passiert der Bus die kleinere, südliche Grube, die bereits wieder aufgefüllt wird. Schon hier bietet sich ein imposanter Blick. Ein riesiger Krater, umsäumt von einer Hügellandschaft. 415 Mitarbeiter hat das Werk Flandersbach des belgischen Unternehmens Lhoist, zudem circa 200 in der Hauptverwaltung. Zwischen 20.000 und 30.000 Tonnen Kalkgestein werden täglich gefördert. "Ohne Kalk keine Stahlproduktion", erklärt Becks. Die Hälfte der Produktion geht in die Stahlindustrie. Geliefert wird auch in die chemische Industrie und in die Bauwirtschaft. 20 Prozent gehen in den Umweltschutz. Kalk hat schadstoffbindende Eigenschaften.

Immer tiefer fährt der Bus in den Tagebau hinein, muss zwei voll beladene Muldenkipper passieren lassen - gegen die der Bus geradezu zierlich wirkt. Im Wülfrather Kalkwerk Flandersbach ist eben alles eine Nummer größer. Auch die Brechanlage des Gesteins, in der die "Skws" ihre schwere Fracht schütten, und die in der Stunde bis zu 4000 Tonnen Kalkstein zerkleinern kann. Problem: Im Schüttgut befinden sich auch Lehm und Ton. Dies muss in der Waschanlage herausgetrennt werden.

Auf einem Plateau am Südhang des Steinbruchs Flandersbach stoppt der Bus. Die Exkursionsteilnehmer steigen aus, erleben ein beeindruckendes Panorama. Von hier aus ist die Sprengung zu erleben. Leider ist nicht zu erkennen, wie bis zu 15 Tonnen Gestein wie eine Lawine zu Boden rutschen. Diesmal wird auf der tiefsten Sohle gesprengt. Gleichwohl erschallt ein dumpfer Knall, eine 50 Meter hohe Rauchwolke schießt wie eine Wasserfontäne in die Höhe. "Das ist etwas Besonderes", erläutert Bernd Becks. Nach den Regenfällen der vergangenen Tage musste diesmal im Wasser gesprengt werden. "Bagger und Muldenkipper sind viel größer, als ich es mir vorgestellt habe." Der siebenjährige Nico, begleitet von seinem Opa Werner Küper, ist beeindruckt. Der Besichtigungsparcours führt am neuen Steinbruch Silberberg vorbei zur Verarbeitungsanlage. Die gewaltigen Schachtöfen können pro Tag bis zu 3000 Tonnen Brandkalk erzeugen. Marcus Klodt spricht von einer faszinierenden Exkursion, an der er mit seiner Tochter Emily (10) und den achtjährigen Zwillingen Lucas und Niclas sowie den Großeltern Hannelore und Siegfried Klodt teilnimmt. "Das ist ein Naturerlebnis pur", sagt er, während der Bus zum Abschluss am ausgedienten Steinbruch Prangenhaus mit türkisblauem Wasser hält. Am Ufer stehen Kormorane. In Bäumen am Hang brütet der Uhu. Das Unternehmen Lhoist bekennt sich zum Standort. "Flandersbach ist aufgrund seiner Größe und der Nähe zur Stahlindustrie für die deutsche Kalkindustrie unerlässlich", sagt Werksleiter Thomas Perterer. "Wir haben noch 20 Jahre Kalkstein-Abbaureserven und arbeiten intensiv daran, die Laufzeit von Flandersbach zumindest für die nächsten 50 Jahre sicherzustellen."

Dann wäre die unterste Sohle der Grube, in der die Exkursionsteilnehmer gestern die Sprengung erlebten, noch 100 Meter tiefer.

(RP)
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