Ratingen "Eine aufwühlende Reise"

Düsseldorf · mit Rita Brazda vom Verein Paten Indischer Kinder. Seit kurzem gehört sie einem Arbeitskreis an, der sich für den Kampf gegen Kinderarbeit und für fairen Handel einsetzt.

Frau Brazda, seit kurzem gehören Sie dem Arbeitskreis des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales in NRW an, der sich um die Bekämpfung von ausbeuterischer Kinderarbeit bemüht. Wie kam es dazu und welche konkreten Ziele hat dieser Arbeitskreis?

Brazda Die Einladung in diesen Arbeitskreis kam für mich sehr überraschend, hat mich aber natürlich auch sehr gefreut. Daran nehmen viele verschiedene Einrichtungen, etwa der katholischen und evangelischen Kirche, der Kindernothilfe oder des Weißen Friedensbandes teil. Im Ministerium ist man wohl auf unseren Verein Paten Indischer Kinder aufmerksam geworden, denn dort will man von der Arbeit vor Ort und unseren praktischen Erfahrungen lernen und profitieren. Ziel ist, die Kinderarbeit einzudämmen und den fairen Handel zu stärken.

Aber Kinderarbeit wird doch schon lange international geächtet. Warum ist ein solcher Arbeitskreis dann noch nötig?

Brazda Natürlich gibt es internationale Abkommen und bestehende Vorschriften. Sie werden nur leider nicht konsequent durchgesetzt und in vielen Ländern, wie etwa Indien oder in Afrika, ist Kinderarbeit nach wie vor üblich.

Und wie wollen Sie dies ändern?

Brazda Indem wir Firmen, die faire Produkte ohne Kinderarbeit liefern, besonders positiv herausstellen und loben. Auf diese Art konnten wir in der Vergangenheit schon einiges bewirken. Ein anderer Weg ist, Produkte, die durch Kinderarbeit gefertigt wurden, zu boykottieren. Dies halte ich aber nur für sinnvoll, wenn es auf der anderen Seite für die Eltern die Möglichkeit gibt, den Lebensunterhalt ihrer Familie zu erwirtschaften. Nur wenn die Eltern und Familien nicht mehr auf die Arbeit der Kinder angewiesen sind, macht dieser Weg wirklich einen Sinn.

Wo liegt denn in den kommenden Monaten der Arbeitsschwerpunkt des Arbeitskreises?

Brazda Zuerst einmal in der Öffentlichkeitsarbeit. Wir wollen die Bevölkerung auf das Problem der Kinderarbeit aufmerksam machen. Dazu wird es am 12. Juni einen Aktionstag geben, an dem wir über das Thema aufklären. Außerdem wollen wir weiter auf die bereits bestehende Arbeit der Agenda 21 aufmerksam machen, die es übrigens auch in Ratingen gibt. Dazu gehört unter anderem der Einkaufsführer, in dem man nachlesen kann, in welchen Ratinger Geschäften man fair gehandelte Produkte kaufen kann und wo diese genau herkommen.

Geben Sie doch einmal ein konkretes Beispiel.

Brazda Da gibt es unzählige. Zum Beispiel gibt es fair gehandelte Fußbälle zu kaufen. Indem man auf diese aufmerksam macht, kann man vielleicht große, auch deutsche, Sportartikelhersteller dazu bewegen, ihre Waren fair herstellen zu lassen. Das Ganze gilt natürlich auch für Kleidung und Lebensmittel.

Sie engagieren sich seit Jahren mit Ihrem Verein für indische Kinder und sind erst vor wenigen Wochen aus Indien zurückgekehrt. Was haben Sie dort in Sachen Kinderarbeit erlebt?

Brazda Das war eine sehr aufwühlende Reise für mich. Wir hatten die Gelegenheit, mit einer Studentengruppe in einen Steinbruch zu gehen, der von rund 20 Männern mit Gewehren bewacht wurde. Natürlich durften wir dort keine Fotos machen und es war eine sehr bedrückende Erfahrung für uns. Dort waren über 1000 Menschen beschäftigt, sogar Kleinkinder mit ihren Eltern, und sobald die Kleinen groß genug sind, einen Hammer zu halten, müssen sie dort mitarbeiten. Wir haben dann ein paar der Männer gefragt, wozu sie sonst ihre Gewehre brauchen. So richtig wollten sie mit der Sprache nicht herausrücken. Schließlich behaupteten sie, sie würden damit in die Luft schießen, um für Ruhe zu sorgen, wenn die Arbeiter in Streit gerieten. So etwas macht natürlich schon sehr nachdenklich, das war eine bedrückende Erfahrung für mich.

Die Möglichkeit, in die Schule zu gehen und damit irgendwann diesem Teufelskreis zu entkommen, haben diese Kinder nicht?

Brazda Nein. Das ist bei den sogenannten Hütekindern schon anders, die auf die Tiere aufpassen. Dort ist es inzwischen sogar üblich, dass Lehrer mit den Kindern mitziehen und sie nebenbei unterrichten. Dort gibt es dann einen offenen Schulunterricht. Nicht ideal, aber immerhin eine Verbesserung.

Abgesehen von der Kinderarbeit, mit welchen Problemen haben Sie in Indien sonst zu kämpfen?

Brazda Seit kurzem gibt es dort eine ganz neue Entwicklung. Aus der eigentlich sehr positiven Entwicklung, dass die Infrastruktur immer besser wird, haben sich neue Probleme ergeben. Je mehr Straßen es gibt und je mehr Kredite die indische Regierung vergibt, damit sich die Menschen Mofas kaufen können, umso mobiler wird die Bevölkerung natürlich. Die Regierung hält sie dazu an, sich irgendwo Arbeit zu suchen und so wächst die Zahl der Wanderarbeiter stetig an. Das Problem ist, dass diese ihre Kinder aus den Schulen herausnehmen und mitnehmen. Und wenn die Kinder nicht zur Schule gehen, dann müssen sie oft anfangen zu arbeiten.

Wie wirkt sich das auf die Arbeit Ihres Vereins aus?

Brazda Wir müssen die Eltern davon überzeugen, dass sie während ihrer Wanderschaft die Kinder besser in unseren für sie ja kostenlosen Internaten lassen. Schließlich werden sie dort gut betreut und erhalten drei Mahlzeiten am Tag, was die Eltern in der Regel nicht bieten können; das bedeutet aber auch, dass wir mehr Internate bauen müssen. Unser jüngstes Projekt, der Ausbau einer Gehörlosenschule, haben wir abgeschlossen und jetzt wollen wir mit dem Bau eines Internats für Mädchen beginnen. Nur so können wir dauerhaft etwas verändern und die Kinder in der Schule halten.

Aber was kann man in Ratingen tun, um den Kindern zu helfen?

Brazda Sich über die Arbeit der Agenda 21 informieren und den Einkaufsführer für fairen Handel besorgen. Oder eine Patenschaft für ein Kind übernehmen. Wege gibt es dafür auch in Ratingen viele.

Christiane Bours stellte die Fragen.

(RP)
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