Ratingen Edathy spricht über den NSU-Skandal

Ratingen · Der SPD-Mann und Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses war Gesprächsgast von Kerstin Griese.

Sebastian Edathy wirkt müde, als er mit seiner Bundestagskollegin Kerstin Griese vor dem Bürgerhaus am Marktplatz sitzt. Seit Januar war der SPD-Mann Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses: "Es war eine interessante Arbeit, die mir und allen Kollegen aber eine Menge abverlangt hat", sagt er. 12 000 Aktenordner mussten gesichtet werden, 80 Zeugen gehört werden — in über 100 Zusammenkünften. "Ich habe vieles in den Unterlagen gelesen, was mich berührt hat. Aber es war wichtig für uns alle, den Mittelweg zwischen Mitgefühl mit den Opfern und professioneller Distanz zu finden."

Als seine Fraktion den Niedersachsen zum Vorsitzenden für diesen erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik einstimmig eingesetzten Untersuchungsausschuss vorschlug, da musste er erst etwas überlegen: "Ich habe nicht sofort zugestimmt, denn dieses Amt brachte eine Menge Verantwortung mit sich." Die Taten der Rechtsterroristen gehen ihm unter die Haut: "Ich war oft am Rande der Fassungslosigkeit bei dieser Arbeit und habe mich gefragt, wie so etwas geschehen kann in unserem Rechtsstaat."

Und dann wird er deutlich: "Es wurde in diesem Fall gegen einen der elementarsten Grundsätze unseres Staates verstoßen. In neun der zehn Morde wurde nicht unvoreingenommen ermittelt. Das darf einfach nicht passieren." Immer wieder schüttelt Edathy leicht den Kopf, wenn er erzählt. Wie kann es sein, dass 36 Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder nicht richtig miteinander kommunizieren? Wie kann es sein, dass in diesem Land Rechtsterrorismus für völlig undenkbar gehalten wird? Wer meint, Edathy könne die Ermittlungsansätze der Polizei in den Fällen der Ermordungen der türkischen und griechischen Geschäftsleute nicht nachvollziehen, der irrt: "Ich habe Verständnis dafür, dass in diese Richtung ermittelt wurde. Aber mir und allen Kollegen des Ausschusses ist es unerklärlich, warum sich nahezu alle Ermittler in diese fixe Idee verrannt haben." Edathy wirkt immer noch wie vor den Kopf geschlagen: "Wie kann es sein, dass in diesem Land eine Gruppe Rechtsterroristen nahezu zehn Jahre lang unbehelligt agieren können? Ich denke, dass in den Köpfen vieler Ermittler einfach zu viele Vorurteile gegen Minderheiten verankert sind."

Solche Leute müsse man bei der Personalauswahl aussieben. "In einem Rechtsstaat dürfen Ermittler nicht so von Vorurteilen und Scheuklappendenken beeinflusst werden", prangert er an. Worauf er hofft: "Es muss uns durch grundlegende Reformen beim Verfassungsschutz und auch anderer Sicherheitsbehörden gelingen, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen. Aber das gelingt nur durch einschneidende Änderungen."

Dass das geht, davon ist der Niedersachse überzeugt: "Nach dem 11. September 2001 ist das auch gelungen, als es eine Qualitätsoffensive in Sachen Islamismus gab." Er hofft, dass die Arbeit des Ausschusses dazu beiträgt. "Die rechte Szene wurde bisher völlig unterschätzt. Niemand hat sie für so organisiert gehalten."

Musste er Anfeindungen hinnehmen? "Ich habe selbst einen Migrationshintergrund. Schmähbriefe und Drohungen gehören zu meinem Leben, seit ich in die Politik gegangen bin", sagt Edathy.

(RP)
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