Einsatz für Geflüchtete in Radevormwald Sana bietet Ukrainerinnen eine Zuflucht

Radevormwald · Sie kommen aus Kiew, sind vor dem Krieg geflohen und leben jetzt im Schwesternwohnheim des Sana Krankenhauses: Oxana, Karina, Natalia und Anna. Sie tragen die Spuren der Flucht.

 Das Sana Krankenhaus begrüßte jetzt vier geflüchtete Frauen (vorne im Bild) aus der Ukraine, die im Schwesternwohnheim der Klinik untergebracht sind – v.l. Dirk Windgassen, Lisa Look (Sozialamt), Volker Grossmann, Dr. Leonid Kogan und Ines Grunewald.

Das Sana Krankenhaus begrüßte jetzt vier geflüchtete Frauen (vorne im Bild) aus der Ukraine, die im Schwesternwohnheim der Klinik untergebracht sind – v.l. Dirk Windgassen, Lisa Look (Sozialamt), Volker Grossmann, Dr. Leonid Kogan und Ines Grunewald.

Foto: Jürgen Moll

In der Stadt scheint Dienstagnachmittag die Sonne. Auf der Wiese neben dem Krankenhaus sitzen Besucher auf einer Decke. Der Frühling zeigt sein schönstes Gesicht. Oxana hat dafür kaum einen Blick. So geht es auch ihrer guten Freundin Natalia und deren Töchtern Karina (22) und Anna (18). „Wir konnten am Anfang nicht mal essen oder schlafen“, erzählt Oxana von den ersten Tagen nach ihrer Ankunft in Deutschland, „das lernen wir jetzt langsam wieder.“ Hinter den Frauen liegt die Flucht aus Kiew, das Verlassen ihrer Familien, ihrer Heimat, ihres Alltags. Freitagnachmittag sind sie in Radevormwald angekommen – als vier von aktuell 116 Geflüchteten aus der Ukraine.

Eine Zuflucht haben sie in zwei Appartements des Schwesternwohnheims des Sana Krankenhauses gefunden. „Wir hatten Leerstände, und wir wollten helfen“, sagt Geschäftsführerin Ines Grunewald. Also meldeten sie die beiden freien Appartements bei der Stadt. Volker Grossmann, Leiter des Sozialamts, freute sich über das Angebot: „Wir haben deutlich zu wenig Wohnraum-Angebote für Familien“, sagt er, „aber wir wollen doch auch niemanden auseinanderreißen.“

Oxana, Natalia, Anna und Karina leben nun also im Schwesternwohnheim. „Wir fühlen uns in Sicherheit“, sagt Natalia auf Ukrainisch, während Dr. Leonid Kogan übersetzt. Und trotzdem: All ihre Gedanken seien noch in der Ukraine, sagt sie. Und dann muss sie das Gespräch für einen Augenblick unterbrechen, weil ihr die Tränen kommen. Ihre Töchter weinen mit ihr. Dann beginnen sie von der Flucht zu erzählen – von dem Tag, als sie entschieden, dass sie in Kiew nicht länger sicher seien. „Mein Mann brachte uns zur polnischen Grenze“, erzählt Natalia. Er selbst kehrte um, um zu kämpfen. Zeitgleich hatte auch Oxana die Flucht vor den russischen Raketen angetreten – und sich der Familie angeschlossen. „Wir wussten, dass wir nach Deutschland wollten“, sagt die 34-Jährige. In Radevormwald lebt ein guter Bekannter. Tickets für Züge Richtung Westen waren in Polen schwer zu bekommen, die Not der Menschen sei groß. „Wir sind dann einfach in einen der Busse gestiegen“, erzählen die Frauen, „wir hofften, wir kommen über Berlin nach Köln.“ Im Bus habe dann die installierte App auf ihren Handys Bombenalarm gemeldet. „Wir sind alle erstarrt“, sagt Oxana, „bevor wir realisierten, dass wir damit nicht mehr gemeint sein können.“ Über Umwege führte ihre Flucht schließlich ins Rheinland, dann Wuppertal und nach Rade.

„Wir gucken den ganzen Tag Nachrichten“, sagt Oxana. Von vielen Freunden wüssten sie nicht, ob sie den russischen Besatzern noch entkommen seien. Freunde haben bereits ihr Leben im Krieg gelassen. Etwas verstohlen streichen sich die Frauen die Tränen aus dem Gesicht. „Wir sind sehr dankbar, dass wir hier sein können“, sagen sie dann. „Spasybi.“ Danke. Das flüstern sie oft.

Inzwischen haben die vier Frauen – mitten in der Verzweiflung – einen Plan geschmiedet: „Wir wünschen uns sehr, dass dieser Krieg in ein paar Tagen oder Wochen vorbei ist“, sagt Natalia, „dann wollen wir sofort nach Hause.“ Bis dahin aber wollen die Frauen Deutsch lernen – um mit den Menschen sprechen zu können. „So wie normale Menschen das eben tun“, sagt Oxana. Wenn sie im Moment auf der Straße um Hilfe gebeten werde, dann bliebe ihr doch nichts anderes übrig, als verständnislos mit den Schultern zu zucken. Das solle nicht so bleiben. Volker Grossmann hört interessiert zu: In Rade starte ein Sprachkursus, zweimal in der Woche, erzählt er den Frauen. „Spasybi“, sagt Oxana und schreibt mit.

Dr. Reinhold Hikl, Ärztlicher Direktor des Krankenhauses, wünscht sich noch ein bisschen mehr für die Schutzsuchenden: „Wir haben doch inzwischen gelernt: Warm, satt und trocken reicht einfach nicht“, sagt er. Und deswegen wolle das Krankenhaus ein klares Signal setzen: Natalia hat in Kiew als Krankenschwester gearbeitet, sie soll schnell die Möglichkeit bekommen, die Mitarbeitenden auf den Stationen zu begleiten. Und auch für Anna, die gerade in der Ausbildung zur Krankenschwester steckt, für Jura-Studentin Karina und Versicherungskauffrau Oxana soll es im Krankenhaus Gelegenheit geben, „mitzulaufen“. So werde Eingliederung erlebbar und Sprache lebendig. Das Team im Krankenhaus sei dafür offen. „Wir finden nicht zum ersten Mal unkonventionelle Lösungen“, sagt der Chefarzt und weiß die Geschäftsführerin und Pflegedirektor Dirk Windgassen hinter sich. Man wolle auch zwei weitere Appartements im Schwesternwohnheim für Geflüchtete zur Verfügung stellen, kündigt Ines Grunewald an.

Unterdessen machen sich Oxana, Karina, Anna und Natalia auf den Rückweg zu ihrem Appartement. „Wir fühlen uns hier wohl“, sagt Oxana – und dann fügt sie leise hinzu, „aber wir sind hier nicht zu Hause.“

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