Radevormwalderin feiert 100. Geburtstag „Wo ist bloß die Zeit geblieben?“

Radevormwald · Die Oberschlesierin Maria Bonrath lebt seit 1958 in Radevormwald. Ihr Ehemann kehrte 1945 nicht aus dem Krieg zurück. Seitdem meistert sie ihr Leben weitgehend alleine.

Marion Bonrath wird am 26. Mai 100 Jahre alt.

Marion Bonrath wird am 26. Mai 100 Jahre alt.

Foto: Jürgen Moll

Vor der Eigentumswohnung in der zweiten Etage steht der Rollator. Einen Aufzug gibt es nicht. Daher verlässt Maria Bonrath ihre Wohnung nicht mehr allzu oft. Am Freitag, 26. Mai, wird sie die Treppenstufen aber gerne in Kauf nehmen, denn dann feiert die Radevormwalderin ihren 100. Geburtstag im Restaurant am Uelfebad. Die dreistellige Zahl an Lebensjahren nimmt sie gelassen. „Es kann keiner damit rechnen, so alt zu werden“, sagt sie lachend.

In den vergangenen 100 Jahren hat Maria Bonrath viel erlebt. Vor allem ist ihr der Zweite Weltkrieg in unschöner Erinnerung geblieben. „Was ich im Krieg erlebt und gesehen habe, das wünsche ich keinem“, sagt sie.

Geboren wurde Maria Sobota, wie sie damals hieß, im oberschlesischen Wilkau. Sie wuchs zusammen mit ihrem Bruder auf dem landwirtschaftlichen Hof ihrer Eltern auf. Zu Kriegsbeginn kam das Militär in die Stadt, darunter auch Paul Bonrath aus Radevormwald auf einem Pferd. „Wir standen am Kriegerdenkmal und guckten. ‚Was für ein stolzer Kerl‘, habe ich gedacht“, erinnert sich die Jubilarin an die erste Begegnung. Am Nachmittag war der junge Soldat dann zum Hof der Sobotas gekommen, um auszuprobieren, ob sein Radio noch funktioniert. „Ich war gerade dabei, für meine Mutter Bohnen zu schnibbeln, bin dann aber rausgelaufen aus der Küche“, erzählt sie weiter. Am Abend kam Paul Bonrath erneut vorbei, wie auch an den darauffolgenden Tagen und in seinem nächsten Urlaub. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt Maria Bonrath heute. Am 11. Oktober 1943 heiratete das Paar. Doch aus dem Krieg kehrte ihr Ehemann nicht zurück. Er fiel im Januar 1945 in Ostpreußen. Die junge Witwe blieb kinderlos und arbeitete auf dem Hof der Eltern, bis sie sich der großen Flüchtlingswelle anschloss und 1958 in den Westen ging. Zunächst kam die damals 35-Jährige bei ihren Schwiegereltern in Radevormwald unter, später in Mietswohnungen. Im Dezember 1973 kaufte sie sich eine stadtnahe Eigentumswohnung in Radevormwald, wo sie auch heute noch lebt – seit fast 50 Jahren.

Einige Bekannte wohnen ebenfalls im Oberbergischen oder auch in Bremen und Hamburg. „Ich habe immer die Verbindung gehalten und früher 32 Karten an Weihnachten geschrieben“, sagt die Jubilarin, die bei der Firma Bisterfeld im Akkord gearbeitet hat. Gerne hätte sie ihre Eltern nach Radevormwald geholt. „Ich hatte die Papiere schon fertiggemacht, doch dann wurde meine Mutter krank und starb mit 72 Jahren“, bedauert sie. Der elterliche Hof ist noch immer in Familienbesitz und wird vom Sohn des Neffen betrieben.

Ihre Urlaube hat Maria Bonrath überwiegend in der Heimat oder auch in Österreich, Bayern und an der Ostsee verbracht. Bis zu ihrem 80. Lebensjahr war sie auch einige Male mit der katholischen Kirchengemeinde verreist. „Ich hatte nie einen Führerschein. Mit der Bahn kam ich auch überall an“, sagt sie lachend. Die Wochenenden verbrachte sie am liebsten mit ihrer besten Freundin, einer ehemaligen und bereits verstorbenen Arbeitskollegin. Ebenso gab es lustige Grillpartys mit den Nachbarn im großen Garten des Mehrfamilienhauses. 1979 kamen ihre beiden Nichten nach Radevormwald, mit denen sie in engem Kontakt steht. Mittlerweile hat Maria Bonrath Unterstützung im Alltag durch die häusliche Kranken- und Seniorenpflege Banaszek. Das Mittagessen wird geliefert, Frühstück, Kaffee und Abendbrot richtet sich die Seniorin selber an. Über Besucher, wie beispielsweise die von Pfarrvikar Michael Weiler, freut sie sich immer sehr. Am liebsten erzählt sie dann von ihrer schlesischen Heimat.

Ihr Alter sieht man der Radevormwalderin nicht an – sie ist sowohl im Geist als auch im Herzen jung geblieben. Wie lange sie noch alleine in ihrer Wohnung leben kann, weiß die baldige 100-Jährige nicht. „Die Kräfte schwinden. Aber ich hoffe, dass ich einigermaßen gesund bleibe, um das, was ich noch kann, auch weiterhin machen zu können.“ Wie ein ganzes Jahrhundert empfindet sie ihr Leben nicht. „Das ging so schnell. Wo ist bloß die Zeit geblieben?“, fragt sich die Jubilarin. In diesem gefühlt rasanten Tempo vergehen auch die Tage. „Wenn der Mittwoch vorbei ist, ist die Woche schon gelaufen“, fügt sie lachend hinzu.

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