Literaturgeschichte in Radevormwald Auf den Spuren eines großen Schriftstellers

Radevormwald · Vor 280 Jahren wurde Johann Heinrich Jung-Stilling geboren. Er erlebte in Radevormwald die wichtige Weichenstellung seines Lebens.

 Die in der Wupper-Talsperre versunkene Ortschaft Dörpe in der Nähe von Kräwinklerbrücke war für sieben Jahre der Aufenthaltsort von Jung-Stilling. Hier verlebte er eine Zeit, an die er sich mit Dankbarkeit erinnerte.

Die in der Wupper-Talsperre versunkene Ortschaft Dörpe in der Nähe von Kräwinklerbrücke war für sieben Jahre der Aufenthaltsort von Jung-Stilling. Hier verlebte er eine Zeit, an die er sich mit Dankbarkeit erinnerte.

Foto: Moll, Jürgen (jumo)

Er war mit Goethe befreundet und der Philosoph Friedrich Nietzsche hielt seine „Lebensgeschichte“ für eines der besten Bücher in deutscher Sprache. Die Rede ist von Johann Heinrich Jung, besser bekannt unter dem Namen Jung-Stilling. „Heinrich Stilling“, diesen Namen gab er, als er sein Leben in mehreren Bänden beschrieb, der Hauptfigur, seinem alter ego. Der fiktive Name blieb schließlich an dem wirklichen haften. In diesem Jahr jährt sich sein Geburtstag zum 280. Mal – zwar kein rundes Jubiläum, aber die Gelegenheit, an die Verbindung des großen Schriftstellers und Arztes mit dem Bergischen Land zu erinnern.

In Radevormwald gibt es einen Jung-Stilling-Weg, in Hückeswagen eine Jung-Stilling-Straße, und dort gibt es sogar ein Jung-Stilling-Haus, in der Ortschaft Hartkopsbever. Dort hat der Dichter rund ein Jahr lang gewohnt – und fühlte sich zutiefst unglücklich. Danach zog es ihn in die Gegend von Radevormwald, wo er sieben Jahre lang lebte und weitaus glücklicher war. Da fragt man sich, warum die Stadt Hückeswagen aus ihrer Beziehung zu dem Dichter mehr gemacht hat als die Stadt Radevormwald.

Nun, in gewisser Hinsicht haben die Radevormwalder Pech gehabt. Denn der Ort, wo Jung-Stilling einst gelebt hat, das Dorf Dörpe in der Nähe von Kräwinklerbrücke, liegt seit Jahrzehnten unter den Fluten der Wupper-Talsperre. Wer den früheren Wirkungskreis des Schriftstellers sehen möchte, der muss schon die Taucherausrüstung umschnallen.

Aber auch in der Stadt Radevormwald selbst hat Jung-Stilling einige Zeit verbracht. Nachdem er einer demütigenden Stellung als Hauslehrer in Hückeswagen (im Buch „Holzheim“) entflohen war, führte ihn der Weg durch „wüste Örter“ nach „Waldstätt“, hinter dem sich –  der Leser ahnt es bereits – die Stadt Radevormwald verbirgt. Dort wird der Held des Buches bei einem „Meister Isaak“ Schneidergeselle.

Der echte Isaak hieß Johann Jakob Becher, er lebte von 1706 bis 1767 und hatte seiner Werkstatt an der Kottenstraße. Der Schneider stellte auch die Weichen für das Glück seines Schützlings, indem er ihm dem Fabrikanten und Gutsbesitzer Peter Johannes Flender (1727- 1807) empfahl. Sieben Jahre blieb der spätere Schriftsteller als Erzieher und Inspektor bei der Familie Flender in Dörpe. Später bezeichnete Jung-Stilling diese Stellung als seine „Academie“. Hier bekam er Einblicke in Ökonomie, Landwirtschaft und Verwaltung, hier lernte er auch eine Reihe von Fremdsprachen.

Schon während der Zeit in der Nähe von Radevormwald hatte Jung-Stilling begonnen, Augenoperationen durchzuführen, mit denen er Menschen vom Grauen Star befreite. Rund 3000 Menschen soll er im Laufe seines Lebens das Augenlicht wieder gegeben haben. 1770 begann er ein Studium in Straßburg, wo er den jungen Johann Wolfgang Goethe kennenlernte. Die Freundschaft der beiden Männer, die aus sehr unterschiedlichen Verhältnissen kamen, hielt über viele Jahre hinweg an und kühlte erst ab, als Jung-Stilling in späteren Jahren in ein Fahrwasser geriet, das aus heutiger Sicht betulich und frömmelnd wirkt.

Nach seinem Studium zog es Jung-Stilling ins Bergische zurück. Er wirkte einige Zeit als Augenarzt in Elberfeld, wo Goethe ihn besuchte. Bei dieser Gelegenheit übergab ihm der Freund das Manuskript zu „Heinrich Stillings Jugend“, das Goethe dann 1777 als Buch herausgab.

Vielleicht war es die Dankbarkeit gegenüber seinem „Meister Isaak“, die Jung-Stilling im Jahr 1802 dazu veranlasste, nach dem verheerenden Stadtbrand etwas Gutes für die Radevormwalder zu tun. Er rief in seiner Schrift „Der Graue Mann“ zu einer Spendenaktion für die notleidende Bevölkerung auf und konnte 1500 Taler sammeln. Im Jahr 1803 notierte er: „Freund Becker von Rade vorm Wald hat durch den Gr. M. [Grauer Mann] und durch eine sehr glückliche Heurath so viel Vermögen bekommen, daß er nun ganz gerettet ist.“

In seinem späteren Leben zog es den Arzt und inzwischen bekannten Schriftsteller nach Kaiserslautern, Marburg und schließlich nach Karlsruhe, wo er im Range eines Großherzoglich Badischen Geheimen Hofrates im Jahr 1817 starb. Mittlerweile war er zu einem der wichtigsten Vertreter der christlichen Erweckungsliteratur geworden. Seine Romane „Geschichte des Herrn Morgenthau“, Geschichte Florentins von Fahlendorn“ und „Leben der Theodore von der Linden“ sind allerdings vergessen – nur seine Lebensgeschichte wird immer wieder aufgelegt Fast überall, wo er gewirkt hat, gibt es Denkmäler oder Einrichtungen, die nach ihm benannt sind, etwa das Jung-Stilling-Krankenhaus in Siegen oder ein Studentenwohnheim in Marburg,

Ganz vergessen hat ihn in Radevormwald nicht. Der im vergangenen Jahr verstorbene Otto Cords hat in einem Heft des Bergischen Geschichtsvereins das „Leben und Wirken des Heinrich Jung-Stilling in Radevormwald“ beschrieben. Und der erste Radevormwalder Redakteur der Bergischen Morgenpost, Hans Aldermann, hatte bereits im Rheinischen Heimatkalender für das Jahr 1955 den Beitrag „Jung-Stilling und das Bergische Land“ verfasst.

Vielleicht findet sich in Radevormwald ja künftig eine Gelegenheit, den großen Schriftsteller und Mediziner neben einem Weg noch auf andere Weise zu ehren.

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