Historische Pandemie Die Pandemie, die vor 100 Jahren zuschlug

Radevormwald · Regionalhistoriker Peter Ruland hat eine Arbeit über die „Spanische Grippe“ im Bergischen veröffentlicht. Manches wirkt vertraut.

 Die Krankheit ging um die ganze Welt: Frauen aus dem australischen Brisbane schützen sich anno 1919 gegen die Influenza.

Die Krankheit ging um die ganze Welt: Frauen aus dem australischen Brisbane schützen sich anno 1919 gegen die Influenza.

Foto: dpa/Queensland Government

Menschen mit Gesichtsmasken, überfüllte Krankenstationen und Leichenhallen – diese Bilder, die wir in diesen Tagen aus vielen Ländern der Erde zu sehen bekommen, sie erinnern auf beklemmende Weise an Ereignisse die vor ziemlich genau hundert Jahren geschahen.

Es war nicht das Virus SARS CoV-2, das damals weltweit Opfer forderte, es war eine Form der Influenza, die „Spanische Grippe“. Diese Krankheit traf in Europa auf einen erschöpften, vom Weltkrieg buchstäblich abgekämpften Kontinent. Doch auch auf anderen Erdteilen forderte diese Krankheit unzählige Tote – insgesamt schätzt man die Zahl der Opfer auf 27 bis 50 Millionen Menschen.

Der Regionalhistoriker Peter Ruland aus Engelskirchen hat bereits im vergangenen Jahr, als kaum jemand mit der aktuellen Lage rechnete, einen Beitrag über die „Spanische Grippe“ in der bergischen Region publiziert. Die Krankheit kam offenbar von den Schlachtfeldern im Westen und über die Drehscheibe Köln ins Oberbergische.

Manche Einschätzungen zu Beginn dieser Pandemie klingen fast wie jene, die noch vor ein paar Wochen zu hören waren. „Die Krankheit ist ganz gefahrlos“, schrieb die „Bensberger Volkszeitung“. Bislang sei kein einziger Todesfall zu verzeichnen. „Nur ist die Grippe sehr ansteckend und leicht übertragbar [...]“.

Das war im Sommer 1918, im Herbst zeigte die Pandemie dann ihre ganze Wucht. Tatsächlich verbreitete sich die Krankheit in mehreren Wellen, besonders die zweite, die Europa im Oktober und November 1918 erreichte, erwies sich als verheerend.

Die „Bergische Wacht“ berichtete dann auch, die Grippe breite sich „auch im Oberbergischen immer mehr aus, begünstigt vor allem durch das schauderhafte Wetter. Mehrere Todesfälle sind bereits als Folge der unheimlichen Krankheit zu beklagen.“ Auch die „Bensberger Volkszeitung“ sah die Lage am 21. Oktober nicht mehr so optimistisch. „Der Tod geht um.“

Peter Ruland befasst sich in seinem Beitrag hauptsächlich mit jenen Kommunen, die heute den mittleren oberbergischen Kreis bilden. Doch wie entwickelte sich die Seuche in Radevormwald? Stadtarchivarin Iris Kausemann hat auf Anfrage unserer Redaktion in den Akten der Jahre 1918/19 nachgeforscht. Die Befunde sind eher gering. In der lokalen Zeitung und in den Ratsprotokollen wurde die „Spanische Grippe“ nicht erwähnt. Auch die Durchsicht der Gesundheitsakten habe keine Hinweis erbracht. „Ich habe dann die Totenlisten von 1918, 1919 und 1920 durchgesehen“, berichtet Iris Kausemann. Darin werden die jeweiligen Todesursachen aufgelistet. „Für 1918 und 1919 sind jeweils zwei Fälle mit Grippe/Lungenentzündung gelistet.“ Im Jahr 1920 gab es dann fünf Grippe-Todesfälle, die allerdings, da sie in die Monate Februar und März fielen, saisonbedingt sein können.

Kann man daraus folgern, dass Radevormwald grippefrei war? Peter Ruland hat die damaligen Todesanzeigen in Engelskirchen, Gummersbach, Bergisch-Gladbach/Bensberg und auch Köln ausgewertet. Als Todesursache wurde die Grippe selten erwähnt. „Vielmehr umging man sie sprachlich“, erklärt Ruland. Eine wiederkehrende Formulierung „nach kurzer, schwerer Krankheit“ oder „nach kurzem schweren Leiden“ könne auf die Grippe hindeuten, meint er. Auffallend viele Fälle von Atemwegserkrankungen werden in den offiziellen Todeslisten erwähnt, die zumindest die Vermutung zulassen, dass die Influenza eine Rolle gespielt hat: Lungenentzündung, Asthma, Luftröhrenkatarrh oder Lungentuberkulose. Öffentliche Einrichtungen wie die Post mussten durch die Epidemie schließen. So meldete die „Bergische Wacht“ am 21. Oktober 1918, dass die Post ihren Dienstbereich einschränken müsse. Die Kleinbahn Engelskirchen-Marienheide stellte ihren Betrieb ein, weil das Personal erkrankt war.

Weil man inzwischen gemerkt hatte, dass heimkehrende Frontsoldaten den Erreger verbreiten konnten, sank die Bereitschaft in der Bevölkerung „die ausgelaugten Krieger aufzunehmen“, schildert Peter Ruland. In den Ortschaften Süng und Hartegasse, die heute zu Lindlar gehören, weigerten sich die Einwohner, eine 120 Mann starke Heeresabteilung, die von Neuremscheid im Leppetal kam, aufzunehmen. Die Menschen hätten „sich geweigert, den Soldaten die Tür zu öffnen“, heißt es in einem zeitgenössischen Bericht.

Was heute „Fake News“ über das Coronavirus sind, waren damals Berichte über angebliche Wundermittel gegen die Grippe. Die „Bensberger Volkszeitung“ schlug als probates Mittel ein Löffelchen Schwefelpulver im Stiefel vor. Peter Ruland kommt zum Schluss, dass die Gesundheitsämter die Menschen nicht ausreichend aufgeklärt hatten: „Keinerlei Informationen, Vorsorgehinweise oder Verhaltensempfehlungen wurden von ihnen an die Bevölkerung herausgegeben.“

Erst im Jahr 1919 ging die Seuche zurück. In den folgenden Jahrzehnten gab es noch weitere Grippe-Wellen, so die Asien-Grippe (1957/58) und die Hongkong-Grippe (1968/69). Mit solchen Pandemien müsse man auch in Zukunft rechnen, schreibt Peter Ruland am Ende seines im Oktober 2019 veröffentlichten Beitrags. Nun wissen wir: Er hat Recht gehabt.

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