Radevormwald Kafka, Dalí und eine Prise Monty Python

Radevormwald · "Zu spät", "spät", "viel zu spät", "zu spät" - Monty Python hätten den Spießrutenlauf durch die Zeit nicht schöner darstellen können: Am Mittwochabend brachte das Rheinische Landestheater Neuss das Theaterstück "Jenny Jannowitz" von Michel Decar auf die Bühne des Bürgerhauses in Radevormwald. Etwa 150 Zuschauer wollten die Tragikkomödie sehen, deren skurrile und surreale Stimmung sich schon in der ersten Szene deutlich machte. Da brachte ein kleiner, nichtgriechischer Chor zunächst einmal die Dekoration auf die Bühne - Schminktisch, Sessel, Friseurföhn -, dann flüsterte er die Szenerie ins Publikum: Karlo Kollmar (Pablo Gueneme Pinilla) habe einfach so mal den Winter verschlafen und sei in einer Welt der "alternativen Fakten" aufgewacht.

 Surreal wirken für Karlo nicht nur die Treffen mit Jenny Jannowitz.

Surreal wirken für Karlo nicht nur die Treffen mit Jenny Jannowitz.

Foto: B. Hickmann

Das Problem war aber, dass Kollmar keiner vermisst hatte, dass sich die Zeit und die Welt weiter gedreht hatten. Seine Freundin Sibylle (Anna Lisa Grebe) war beim Friseur, sein Chef (Rainer Scharenberg) war plötzlich begeistert von seinem Mitarbeiter, die Mutter (Hergard Engert) wollte nur noch per Vornamen angesprochen werden, und Freund Oliver (Josia Krug) war ebenfalls seltsam unterwegs. Über allem thronte die titelgebende Jenny Jannowitz (Linda Riebau), die mit Engelsflügeln, zunächst abwartend, das Spektakel betrachtete. Kafka ließ grüßen, der Kuss der Engelsgleichen weckte Kollmar schließlich auf. Auch wenn Jenny das zunächst nicht wahrhaben wollte.

Wirklich alles war anders: Da schlief etwa Freund Oliver an Karlos Geburtstag mit dessen Freundin Sibylle auf einem Sessel und sagt dann trocken: "Geht schneller als man meint." Der Chef hieß plötzlich anders und sagte dazu nur: "Ich habe letzte Woche geheiratet. Seitdem trägt meine Frau die Taschen. Das nennt sich Gleichberechtigung." Und auch zwischen den Namen seiner Freundinnen - Susanne, Sibylle und Sonja - konnte Karlo bald nicht mehr unterscheiden.

Als er dann auf dem Sessel saß und die Szene wie eine Sitzung auf der Psychologen-Couch wirkte, Jenny vor ihm kniete und ihm verständnisvoll zuhörte, war klar: Karlo hat das Gefühl, verrückt zu werden, in einer Welt zu versinken, die mit allen Anforderungen von außen zu komplex für das Individuum ist. Dann sagte er: "Ich bin kein Kaninchen", der Bühnenhintergrund öffnete sich, Nebel quoll herein und Karlo schwebte mit seinen in weißen Ganzkörperanzügen gekleideten Mitstreitern im Weltall. Jenny war da wie eine übergeordnete Instanz, saß am Bühnenrand, redete Karlo immer wieder ins Gewissen.

Letztlich war diese ganze Geschichte ein wenig so, wie wenn Kafka auf Dalí trifft - eben Surrealismus im Quadrat. Mit einer Prise Monty Python. Wenn etwa Freundin Sonja mit ausladendem Hinterteil und Schleife im Haar über die Bühne trabte. Oder Freund Oliver mit seinen halblangen roten Haaren die Bühne erkundete. Und das Publikum im Bürgerhaus fand's gut. Was sich auch am Applaus zeigte. Denn der, war ganz unsurrealistisch, laut und ausdauernd.

(RP)
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