Historischer „Me Too“-Prozess: Berufungsgericht hebt Urteil gegen Harvey Weinstein auf
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Radevormwald Freispruch für psychisch kranken Straftäter

Radevormwald · Die Verteidigerin schien überrascht, ihr Mandant geradezu sprachlos, als der Richter das Urteil verkündete: Freispruch. Darauf hatten wohl weder der 26-jährige Angeklagte noch seine Anwältin zu hoffen gewagt. Denn nach der Beweisaufnahme im Strafverfahren vor dem Amtsgericht Wipperfürth stand fest, was auch der Richter klarstellte: Rein rechtlich gesehen hatte der Radevormwalder die ihm zur Last gelegten Straftaten begangen, konkret Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung, Sachbeschädigung. Aber er war und ist psychisch krank und aus Sicht des Schöffengerichts nicht verantwortlich zu machen für das, was er im Juli 2014 getan hatte.

Es begann damit, dass der Radevormwalder abends aufs Dach des Edeka-Marktes stieg. Zeugen riefen die Polizei, weil sie einen Einbrecher vermuteten. Polizeibeamte stellten den jungen Mann wenig später und überprüften seine Personalien. Doch er setzte sich zur Wehr, schlug und trat um sich und versuchte, einem Beamten dessen Dienstpistole aus dem Holster zu ziehen. Zwei Polizisten erlitten Prellungen. Schließlich nahmen sie den Wütenden fest und brachten ihn in einer Zelle unter. Dort randalierte er weiter und zerriss die Matratze.

Zwei Tage später brach der Rader, der damals in einer Obdachlosenunterkunft lebte, nachts ins Haus seiner Eltern ein, die in Urlaub waren. Zuvor hatten sie gegen ihn wegen häuslicher Gewalt eine gerichtliche Verfügung erwirkt, wonach er sich dem Haus nicht nähern durfte. Sein Bruder alarmierte die Polizei, die den Eindringling festnahm. Zur Verstärkung hatten die Beamten Hundeführer angefordert.

In der Hauptverhandlung konnte sich der Angeklagte nicht mehr an alles erinnern. Aufs Dach des Supermarktes sei er nicht geklettert, um einzubrechen, sondern, weil ihn Selbstmordgedanken umgetrieben hätten. Ins Elternhaus sei er nur eingedrungen, um dort zu duschen. Warum er der Polizei gegenüber so aggressiv wurde? "Ich war psychisch in schlimmer Verfassung und hatte die Medikamente abgesetzt, ich war nicht mehr ich selbst." Tatsächlich war bei ihm schon Jahre zuvor eine schwere psychische Erkrankung diagnostiziert worden. Deshalb hatte er Medikamente dauerhaft verschrieben bekommen, dann aber eigenmächtig abgesetzt. Die Folge waren Schübe schizophrener Psychosen. Dass er darunter akut litt, sagte das Gutachten eines Psychiaters aus. Sein Fazit: Zur Tatzeit habe eine Psychose bestanden, die zur erheblichen Minderung oder gar Ausschaltung der Kontroll- und Steuerungsfähigkeit führte.

Entscheidende Aussage im Gutachten: Die Krankheit sei medikamentös behandelbar, die stationäre Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik nicht nötig. "Wenn er seine Medikamente nimmt, ist er unauffällig, dann geht keine Gefährdung von ihm aus", sagte der Mediziner. Tatsächlich ist der junge Mann seit den Vorfällen im Juli 2014 wieder in Therapie und wird regelmäßig medikamentös behandelt. Seitdem ist nichts mehr vorgefallen. Er lebt wieder im Elternhaus in Frieden mit seiner Familie und will nun das Abitur nachholen.

Die positive Sozialprognose war mitentscheidend für den Freispruch. "Sie sind krank, aber Sie haben das im Griff und überdies die Einsicht, dass Sie Ihre Medikamente nehmen müssen. Deshalb sind wir überzeugt, dass nichts mehr passiert", sagte der Richter.

Einen Warnschuss gab der Richter dem jungen Mann aber auch mit: Trotz des Freispruchs werde es eine Eintragung zum Strafverfahren im Führungsregister geben. Wenn der Rader erneut straffällig werden sollte, drohe ihm die Unterbringung in der Psychiatrie. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Noch kann die Staatsanwaltschaft, die eine Geldstrafe gefordert hatte, Rechtsmittel einlegen.

(RP)
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