Pilotprojekt in Radevormwald Arztbesuch per Videoübertragung

Radevormwald · Hausärzte haben durchschnittlich täglich 53 Patienten. Die Zahlen steigen, gleichzeitig schließen immer mehr Praxen . Die Universitätskliniken in Aachen reagieren jetzt: Sie testen in Dabringhausen den "virtuellen" Hausarzt.

 Telehausarztsystem: Pflegerin Nany Heinzmann (l.) kennt das Diagnosegerät und ist per Videoübertragung mit Dr. Walocha, Hausarzt von Anna Caplan, verbunden. Die Seniorin sieht ihren Arzt auf dem Bildschirm.

Telehausarztsystem: Pflegerin Nany Heinzmann (l.) kennt das Diagnosegerät und ist per Videoübertragung mit Dr. Walocha, Hausarzt von Anna Caplan, verbunden. Die Seniorin sieht ihren Arzt auf dem Bildschirm.

Foto: Peter Meuter

Anni Caplan ist 95 Jahre alt. Mit Computern und auch mit Fernsehen hat sie nicht viel am Hut. Aber seit einigen Wochen blickt die "Carpe diem"-Bewohnerin in Dabringhausen mittwochs gebannt auf einen kleinen Bildschirm: Dort begegnet sie ihrem Hausarzt Dr. Rafael Walocha. Das "Hallo" ist genauso herzlich wie bei der persönlichen Visite. Was darauf folgt, ist allerdings für Arzt und Patientin noch neu. Denn Dr. Walocha und Anni Caplan gehören zu einem Pilotprojekt, das die Uniklinik Aachen gemeinsam mit dem Unternehmen "Docs in Clouds" aktuell im Seniorenpark "Carpe diem" in Dabringhausen durchführt.

Dort testen die Mediziner den "Tele-Hausarzt." In Notfällen oder immer dann, wenn das Pflegepersonal an medizinische Grenzen gerät, kann mit einem Computer der Hausarzt hinzugezogen werden. Per Videoübertragung schaltet sich Walocha so ins Zimmer der Bewohner ein. Immer mit im Zimmer ist eine ausgebildete Pflegekraft. So hält zum Start der Pilotphase Nancy Heinzmann die Hand der Patientin.

Während der Arzt mit Anni Caplan ins Gespräch kommt, legt die Altenpflegerin die EKG-Sonde an, bedient den Bildschirm, nimmt dann Anordnungen des Arztes entgegen, setzt sie um und hält den Computer immer auf dem neuesten Stand. So ist auch gleich die Dokumentation gesichert. Nancy Heinzmann, Walocha und Anni Caplan sind bereits ein eingespieltes Team. Denn bevor die Testphase gestern offiziell begann, haben sie gemeinsam mit anderen Pflegern und Bewohnern das Computersystem bereits getestet.

Einmal in der Woche, immer mittwochs, haben Patienten, Pfleger und Arzt die Untersuchungen über den PC getestet, sich darüber ausgetauscht und Verbesserungsvorschläge gemacht. Die Pflegekräfte wurden entsprechend weitergebildet. "Alles eine Gewöhnungssache", sind sich alle Drei einig und freuen sich über die neuen Möglichkeiten.

Ab sofort soll der Computer, der auch mit EKG und entsprechenden Messgeräten für Blutdruck und Sauerstoffsättigung ausgestattet ist, vor allem in Bedarfsfällen eingesetzt werden. Wenn der Blutdruck stark abweicht, wenn Schmerzen auftreten: Dann wird der Tele-Mediziner, der gleich nebenan seine Praxis hat, zu Rate gezogen.

"Bisher wird in solchen Situationen oft der Notarzt gerufen", sagt Dr. Michael Czaplik, Erfinder und Geschäftsführer von "Docs in Clouds". Dann werden Patienten häufig ins Krankenhaus gebracht. "Hausärzte können die Situation natürlich besser einordnen, weil sie die Patienten kennen", sagt Czaplik. Oft reicht die Anpassung der Medikamente. Dadurch würden unnötige Krankenhausaufenthalte vermieden, der Rettungsdienst entlastet. Und auch für Hausärzte bedeute das Tele-System eine zeitliche Entlastung. Das bestätigt Walocha. "Ich kann sofort reagieren, spare mir die Anfahrt und muss kein volles Wartezimmer zurücklassen", sagt der Dabringhausener Hausarzt. Das sei in Zeiten der ärztlichen Unterversorgung - vor allem auf dem Land - Gold wert, betonen Erfinder und Ärzte.

Und der persönliche Kontakt? "Den verliere ich ja nicht", sagt Walocha. Denn die Visiten finden nach wie vor persönlich statt. "Aber wir können jetzt auch schnell im Notfall reagieren", sagt der Arzt. Eine Pflegerin sei immer beim Patienten und die Werte, die der Computer per Internet auf seinen Monitor in der Praxis schickt, seien sehr aussagekräftig. "So habe ich in den vergangenen Wochen zum Beispiel eine Herzschwäche bei einer Patientin entdeckt", sagt der Arzt. Mit Stethoskop und Blutdruckmessegerät, die er bei Hausbesuchen sonst dabei hat, wäre die im Zweifelsfall unentdeckt geblieben. "Ich glaube, im Tele-Hausarzt liegt die Zukunft", sagt Walocha. Dieser Meinung ist auch Dr. Andreas Follmann von der Uniklinik in Aachen. Der Tele-Notarzt habe sich in Aachen bereits durchgesetzt. Mit dem Modell in Dabringhausen werde nun die zweite Phase eingeleitet. Sie soll noch in diesem Jahr auch von anderen Altenzentren übernommen werden. In Phase drei könnte das System auch andere Hausbesuche der Ärzte übernehmen - dafür müsse allerdings das Fernbehandlungsverbot modifiziert werden. Dann würde eine speziell geschulte Arzthelferin Computer und Messgeräte zu Patienten bringen und die Videoverbindung aufbauen. Fürs Erste sind die Experten aber gespannt auf die Erfahrungen, die nun in Dabringhausen gesammelt werden.

(RP)
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