Wilder Westen als Hobby Neusser fürchtet um seine historische Waffen-Sammlung

Neuss · Der Neusser Wolfgang Dicke (76) besitzt eine Vielzahl historischer Waffen, die im Wesentlichen aus der amerikanischen Pionierzeit stammen. Doch nun bedroht eine mögliche Gesetzesänderung Teile seiner Sammlung.

 Wolfgang Dicke – hier mit dem „Henry“-Gewehr – sammelt seit 1972 historische Waffen.

Wolfgang Dicke – hier mit dem „Henry“-Gewehr – sammelt seit 1972 historische Waffen.

Foto: Dieter Staniek

Mitte Mai soll es endlich wieder losgehen. Mit seiner Frau und einem befreundeten Ehepaar möchte sich Wolfgang Dicke auf den Weg nach Denver (Colorado) machen. „Mitten in die Rocky Mountains“, sagt er. Die Stimme des 76-Jährigen bekommt einen melancholischen Unterton, wenn er von seinen Erlebnissen auf den Rundtouren berichtet. Eine neue Bescheidenheit habe er in der mächtigsten Bergkette Nordamerikas gelernt. „Wenn Sie auf den Pässen stehen und von dort aus in die Ferne schauen, dann sehen Sie Wildnis. Sie wissen nicht mehr, wo die Erde endet und wo der Himmel beginnt, weil es in der Ferne beginnt zu flimmern“, sagt der Neusser. In diesen Momenten fragt er sich: „Wer bin ich eigentlich auf dieser Welt?“ Wolfgang Dicke ist ein Romantiker.

Nicht nur an schier unendliche US-amerikanische Gebirgslandschaften verlor der ehemalige Bundesgeschäftsführer der Gewerkschaft der Polizei sein Herz, sondern auch an die Geschichten, deren Schauplatz sie waren. Schon als Kind schmökerte der damals kleine Wolfgang in Karl-May-Büchern und verliebte sich in die Schilderungen des Wilden Westens. Später belebten staubige Filme mit John Wayne, James „Jimmy“ Stewart oder Kirk Douglas seine Fantasie. Im Laufe der Jahre entwickelte er vor allem für die Waffen im Wilden Westen eine besondere Faszination – wie die 1892er-Winchester als klassischer Cowboy-Carabiner. Seine Faszination wuchs so stark, dass er mittlerweile im Besitz einer Vielzahl historischer Waffen ist, die im Wesentlichen aus der amerikanischen Pionierzeit stammen.

Hinter der Tür eines speziell gesicherten Raumes verbirgt sich sein eigenes kleines Museum. Auf diesen paar Quadratmetern kann man Geschichte in den Nasenflügeln spüren. Sie riecht offenbar nach altem Leder und Holz. An der Wand hängen etliche Colts und Gewehre. Geschmückt ist der Raum mit Holstern, Lederbekleidung, Hüten, Hemden. Alles original. Teilweise zwischen 130 und 140 Jahre alt. Es ist nicht die Waffe an sich, die Dicke interessiert. Nicht die Technik und die Leistungsstärke. Vielmehr ist es ihre Geschichte. Den Experten interessieren Verwendung, die Herstellung, die Lebensverhältnisse in den Fabriken während der beginnenden Industrialisierung.

Vorsichtig, mit weißen Handschuhen, um keine Flecken zu hinterlassen, holt Dicke einen glänzenden Revolver aus dem Jahr 1923 hervor. „Ungeschossen“, sagt er. Dabei handelt es sich um die Waffe eines ehemaligen Texas Rangers. Für diesen war der Colt lediglich eine Art Schmuckstück. „Er trug ihn nur, wenn er am Sonntagnachmittag ausging“, sagt Dicke schmunzelnd. Um die Waffe, die in seinen Händen liegt, mit Leben zu füllen, begab sich Dicke auf Spurensuche, war dreimal in Texas und fand heraus, dass der frühere Besitzer des funkelnden Colts zuerst Ranger, dann ein Zollbeamter war und am Rio Grande an der Grenze zu Mexiko nebenbei noch eine Zinober-Mine betrieb, ehe er 1923 Captain wurde. In einem Ordner hat Dicke alles dokumentiert. Er forschte in Ranger-Museen, sammelte Fotos, wertete Lohn-Listen aus, bis sich die Puzzle-Teile letztendlich zu einem Bild zusammenfügten. Nun hält Dicke nicht nur einen glänzenden Colt mit weißem Griff in den Händen, sondern ein Stück Identität

Doch wie das in Hollywood-Filmen so ist, läuft nicht immer alles glatt. Denn nun sind Teile von Dickes Sammlung bedroht. Grund ist ein seit Mitte Januar dieses Jahres vorliegender Referenten-Entwurf des Bundesinnenministeriums eines dritten Waffenrechtsänderungsgesetzes. Darin werden bestimmte Waffengruppen neu sortiert, und zwar nach Vorgabe der EU-Richtlinie zum Waffenrecht, die nun in nationales Recht überführt werden soll. Die entscheidende Änderung in dem Entwurf, über die Dicke nur den Kopf schütteln kann: Seit Inkrafttreten des Bundeswaffengesetzes 1972 als historisch bedeutsam eingestufte Gewehre mit Röhrenmagazin mit mehr als elf Schuss (typischerweise Winchester-Gewehre, wie sie aus jedem Western bekannt sind) sollen künftig als potentielle Terroristenwaffen verboten werden. Der bisherige Besitz soll zwar weiter erlaubt sein, doch ein Verkauf ist dann nicht mehr möglich, vererben auch nicht. „Das käme einer Enteignung gleich“, sagt Dicke.

Das eklatanteste Beispiel: Das sogenannte Henry-Gewehr, das die von Karl May kreierte Cowboy-Figur Old Shatterhand führte und in Deutschland bekannt machte, gilt als Vater aller späteren Winchester-Gewehre. Das „Henry“ wurde von 1861 bis 1866 gefertigt, etwa 12.500 Stück. Es fasst in seinem Röhrenmagazin 16 Schuss, würde also künftig zur Terroristenwaffe. Eingerichtet ist das Henry-Gewehr für die Randfeuerpatrone „.44 Henry Rim Fire“. Heute kostet eine Original-Patrone um die 100 Euro, volle Schachteln aus einem Fertigungsjahr um 1900 zwischen 1500 Euro, bis zu 25.000 Dollar aus der Zeit Mitte der 1860er Jahre.

Die Waffe selbst wird in den USA je nach Zustand zwischen 30.000 und 100.000 Dollar gehandelt. Dicke hat in seiner seit 1972 geführten Sammlung ein ganz besonderes Stück: Es gehört zu den 1731 Exemplaren, die die US-Regierung im Amerikanischen Bürgerkrieg zwischen 1861 und 1865 für Nordstaaten-Truppen kaufte. Zur größten Order über 800 Gewehre gehört sein Henry-Gewehr. Aus dieser Lieferung seien zur Zeit weltweit noch rund 150 Stück bekannt. „Meine Waffe ist eine von diesen ,überlebenden‘“, sagt Dicke. Ihr Wert: etwa so viel wie ein Mittelklasse-Pkw. „Und jetzt soll sie zur Terroristenwaffe werden“, sagt Dicke. Doch auch weitere Stücke seiner Sammlung wären von dem neu geordneten Gesetz betroffen. Der Schaden betrüge rund 60.000 Euro. „Ganz offenkundig hat an dem Entwurf niemand mitgearbeitet, der auch nur rudimentäre waffenhistorische Kenntnisse hat“, sagt Dicke.

Doch noch gibt es eine Chance. Denn der Referenten-Entwurf ist wurde jetzt an die Fachverbände verschickt, die dazu Stellung nehmen können. Bei einem Verband hat der 76-Jährige bereits Alarm geschlagen. Lassen sich die Beamten des Innenministeriums überzeugen, wird der Referenten-Entwurf geändert, ehe er in den Bundestag geht. Nimmt dieser jedoch keine Änderungen mehr vor, dann würden einige historische Waffen von Dicke früher oder später im Hochofen enden. Das wäre für Dicke ein Wild-West-Streifen mit dramatischem Ausgang.

Sollte dem jetzigen Entwurf tatsächlich zugestimmt werden, behält sich Wolfgang Dicke vor, sich an die Bundestagsabgeordneten des Rhein-Kreises zu wenden.

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