Shakespeare Festival in Neuss Wo Helden nur Trottel sind

Neuss · Zum ersten Mal wurde im Globe beim Shakespeare-Festival das Stück "Troilus und Cressida" gezeigt. Die Berliner Schauspielschule Ernst Busch lieferte einen überzeugenden Beweis dafür, wie aktuell das Drama zu lesen ist. Es spielt im trojanischen Krieg.

 Troilus (l.) scheint der einzig normale Mensch am trojanischen Hof zu sein, wo Paris gerade das große Wort führt.

Troilus (l.) scheint der einzig normale Mensch am trojanischen Hof zu sein, wo Paris gerade das große Wort führt.

Foto: Pedro Malinwoski

Bei Homer sind sie große Helden; Shakespeare gibt ihnen Tücke und menschliche Schwächen; Regisseur Veit Schubert lässt sie gänzlich vertrotteln. Wie seine griechischen Krieger um ihren Anführer Agamemnon überhaupt so weit kommen konnten und seit sieben Jahren schon die Stadt Troja belagern, ist bei dieser dümmlichen Truppe kaum vorstellbar. Der einzig Kluge ist — wie so oft bei Shakespeare — auch ein Außenseiter: der missgestaltete Thersites, der das Geschehen mit ätzenden, gleichwohl alles durchschauenden Kommentaren versieht.

Kaum zu glauben, aber wahr: Das Drama "Troilus und Cressida" ist zum ersten Mal in 21 Jahren Festival-Geschichte in Neuss dabei. Leider auch nur als einmalige Angelegenheit, dabei hätte die Arbeit von Schubert mit Studenten des dritten Jahrgangs der Berliner Schauspielschule Ernst Busch allemal mehr Vorstellungen verdient. Zusammen mit Dramaturg Jörg Lehmann hat Schubert das Stück (in der Übersetzung von Frank Günther) ordentlich eingedampft und den Fokus auf die Entlarvung von sinnlosem Heldentum, hohler pathetischer Schwätzerei und zynischem Egoismus gelegt. Werte und Moral haben in dieser Welt keinen Platz; gegenseitige Achtung schon gar nicht.

Troilus, Sohn des trojanischen Königs Priamos, verliebt sich in Cressida, die Tochter eines zu den Griechen übergelaufenen Priesters. Sie verbringen eine Nacht miteinander, schwören sich ewige Treue — und dann wird Cressida im Austausch mit einem trojanischen Gefangenen an die Griechen und ihren Vater ausgeliefert. Bei Shakespeare verrät sie Troilus, indem sie die Geliebte eines griechischen Offiziers wird. Bei Schubert hingegen ist sie Opfer, eine pure Kriegsbeute, der sich die Männer nach Lust und Laune bedienen. Cressidas Qual angesichts dieser Erkenntnis sorgt für einen der wenigen beklemmenden Momente. Überhaupt nimmt die Inszenierung die Liebe zwischen Troilus und Cressida ebenso ernst wie die beiden Figuren. Sie sind in diesem Panoptikum die einzig wahren Menschen.

Parallel dazu kommt es zu einem Zweikampf zwischen dem trojanischen Hektor und dem griechischen Ajax, mit dem eine Kriegsentscheidung erzwungen werden soll. Hektor aber bricht den Kampf ab, weil er weiß, dass Ajax eine trojanische Mutter hat, wird später von gedungenen Mördern erschlagen. Und der Krieg geht weiter.

Das Drama wird auch gerne als "schwere Komödie" bezeichnet. Vielleicht, weil seine Mischung aus komischen und tragischen Elementen eine eindeutige Charakterisierung unmöglich macht. Die Berliner haben sich jedoch eindeutig für die Komik entschieden und aus dieser gleich eine lärmende und witzige Groteske gemacht. Dass sich dennoch manche stillen Momente entfalten können, ist auch dem überzeugenden Spiel der jungen Darsteller zu verdanken.

(NGZ)
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