Neuss jenseits der A 57 Wo die Stadt Dorf ist – ein Leben hinter der Autobahn

Nordstadt · Die Autobahn trennt eine Siedlung mit rund 50 Bewohnern von der Furth. Das Leben dort: idyllisch – trotz vorbeirauschender Autos.

 Hinter dem Rastplatz „Morgensternsheide-West“ geht Neuss weiter: Rund 50 Bewohner leben dort in einer Siedlung, die für viele schon „Kaarst“ ist, aber offiziell noch zu Neuss gehört.

Hinter dem Rastplatz „Morgensternsheide-West“ geht Neuss weiter: Rund 50 Bewohner leben dort in einer Siedlung, die für viele schon „Kaarst“ ist, aber offiziell noch zu Neuss gehört.

Foto: Christian Kandzorra

Früher, daran kann sich Landwirt Hans-Georg Vieten noch gut erinnern, führte der Weg ins Stadtzentrum über eine einfache Bundesstraße. „Das war mein Schulweg, die Straße konnten wir überqueren, in dem wir einfach rübergegangen sind.“ Aus der Bundesstraße ist längst eine stark befahrene Autobahn geworden: die A57. Sechs Fahrstreifen trennen die Neusser Siedlung „Auf dem Berg“ auf Höhe der Rastplätze „Morgensternsheide“ vom Rest der Stadt. Ins Zentrum führt nur eine schmale Brücke, eine „Nabelschnur“, die über einen Umweg über umliegende Felder zu erreichen ist.

 Der Landwirt Hans-Georg Vieten ist in der Siedlung aufgewachsen.

Der Landwirt Hans-Georg Vieten ist in der Siedlung aufgewachsen.

Foto: Christian Kandzorra

Rund 50 Bewohner zählt die Siedlung „auf der anderen Seite der Stadt“. Neuss ist dort ein kleines Dorf, eine Insel, idyllisch – mit einer Autobahn als monoton rauschendem Nachbarn. „Ich wohne und arbeite gerne hier“, erzählt Hans-Georg Vieten. Der Landwirt betreibt mit seiner Familie mittlerweile in dritter Generation Ackerbau auf 60 Hektar Land, auf „Neusser Boden“, wie er betont.

Kartoffeln, Gemüse, Mais, Getreide, Zuckerrüben – „eigentlich würden wir gerne einen richtigen Hofladen eröffnen, aber dafür liegt der Betrieb zu weit abgelegen“, sagt der 56-Jährige, der auf seinem Hof fast nur Stammkunden bedient, die „schon immer“ gekommen sind und ihn kennen. Um Gemüse und Co. dennoch verkaufen zu können, bietet die Familie ihre Waren auf dem Parkplatz zweier Supermärkte auf der Furth an.

Wie es sich sonst so lebt jenseits der Autobahn? „An die Verkehrsgeräusche habe ich mich gewöhnt. Ich höre die A57 gar nicht mehr“, erzählt der Landwirt, der in der Siedlung aufgewachsen ist und sich nicht mehr vorstellen kann, wegzuziehen. Auf die Brücke, die die Häuser und Höfe jenseits der Autobahn mit der Stadt verbindet, legt Vieten großen Wert – genauso wie Sonja Klein und die meisten anderen Bewohner. Sonja Klein ist Geschäftsführerin des Garten- und Landschaftsbaubetriebs Mauer, zwei Häuser neben dem Hof von Hans-Georg Vieten. „Wir haben in den vergangenen Jahren vehement gegen die Sperrung und den Abriss der Brücke gekämpft“, erzählt sie. Als der neue „Ikea“ – das Möbelhaus an sich ist größer als das Neusser „Dörfchen“ nebenan – gebaut wurde, hatten viele befürchtet, die Brücke könnte von „Ikea“-Kunden als Schleichweg genutzt werden, um das Möbelhaus direkt von Neuss aus zu erreichen. „Wäre die Brücke abgerissen worden, hätte man uns nur noch über Kaarst erreichen können“, sagt Klein.

 Garten-Idyll: Sonja Klein wohnt direkt an der Autobahn, hört sie aber kaum.

Garten-Idyll: Sonja Klein wohnt direkt an der Autobahn, hört sie aber kaum.

Foto: Christian Kandzorra

Die Brücke wurde schließlich neu gebaut und ist wichtiges Verbindungsstück in Richtung Stadtzentrum. Und: Eine Brücke, die eben nur für Anlieger und nicht für den Durchgangsverkehr freigegeben ist. „Der einfachste Weg, uns zu erreichen, führt allerdings über das Kaarster Stadtgebiet: von der Autobahnabfahrt Holzbüttgen aus kommend über die vor Kurzem eröffnete ,Ikea’-Brücke“, sagt Sonja Klein, die von kuriosen Begebenheiten berichten kann: „Die meisten Navigationssysteme finden uns nicht und führen Besucher, die noch nie bei uns waren, oft in ganz andere Gegenden.“ Sie habe auch schon Kunden abholen müssen, die irgendwo auf dem Feld gelandet waren.

Die Firma Mauer ist eine von drei Gartenbaubetrieben dort und liegt direkt hinter der Lärmschutzwand, die die Siedlung von den sechs Fahrstreifen der A57 trennt. „Der Schall geht über das Betriebsgelände und auch über unser Haus. Daher hören wir die Autobahn gar nicht so laut“, erzählt sie. An das dennoch leicht zu hörende Rauschen habe sie sich gewöhnt: „Einmal war die Autobahn gesperrt, da war es hier gespenstisch still.“ Und ansonsten? „Hier ist es sehr idyllisch“, erzählt Klein, die seit zehn Jahren mit ihrem Mann direkt nebenan wohnt – in einem Haus mit Gartenteich, in dem sie auch schwimmen können.

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