Vorfall beim Weihnachtsball in Neuss Die Schuhe des Anstoßes

Neuss · Bei einem Ball in Neuss wurde eine Frau in flachen Schuhen abgewiesen. Immer mehr Frauen wollen sich nicht vorschreiben lassen, wann sie High Heels zu tragen haben.

 Eine Frau in High Heels steht auf einer Bühne.

Eine Frau in High Heels steht auf einer Bühne.

Foto: Pixabay

„Barfuß oder Lackschuh“, hieß vor vielen Jahren ein Hit von Kostenpflichtiger Inhalt Harald Juhnke. Die Zeile war zwar auf Männer gemünzt, passt aber ganz gut in die aktuelle Diskussion: Müssen Frauen bei Galas oder im Büro einem Dresscode folgen, der sie verpflichtet, High Heels oder generell festliche Schuhe zu tragen? So hatte es der Dresscode des Weihnachtsballs auf der Neusser Rennbahn vorgesehen. Zwar seien hohe Absätze nicht vorgeschrieben gewesen, sagte der Vorsitzende der Katholischen Landjugendbewegung Kaarst (KLJB), Richard Meyer. Viele Besucherinnen hätten Ballerinas getragen. Eine Frau mit flachen Schuhen war dennoch vom Sicherheitspersonal abgewiesen worden, obwohl sie erklärte hatte, wegen eines vor Jahren erlittenen Schlaganfalls keine hohen Schuhe tragen zu können. Eine andere Frau erzählte, die Security hätte sie ohne Probleme mit flachen Schuhen hereingelassen, nachdem sie ihre Rheuma-Tabletten vorgezeigt hatte.

„Es sollte keine High-Heels-Pflicht geben“, sagt Roman Frieling, Ex-Juror der RTL-Tanzshow „Let’s Dance“ und Leiter einer Tanzschule mit neun Standorten in und um Düsseldorf. „Da kommen wir in einen gesundheitlichen Bereich, den man als Außenstehender nur schwer beurteilen kann.“ Auch bei größeren Bällen sei klar, dass die älteren Frauen keine hohen Absätze mehr tragen. Dass man zu einem Galaball aber nicht in Jeans und Shirt ankommt, verstehe sich von selbst. „Bei uns gibt es jedoch niemandem am Eingang, der den Kleidungsstil checkt. Hin und wieder kommen Leute, die aussehen, als hätten sie gerade den Keller aufgeräumt. Aber wer bin ich, dass ich ihnen etwas dazu sage? Ein High Heel kann keine Vorschrift sein.“

Schon vor Jahren sorgte eine angebliche High-Heels-Pflicht bei den Filmfestspielen von Cannes für Aufruhr unter Prominenten und in den sozialen Netzwerken. Frauen den roten Teppich ohne hohe Absätze betreten zu lassen, schien dem Festival-Personal offensichtlich als Sakrileg; nachdem etliche weibliche Gäste mit flachem Schuhwerk abgewiesen worden waren, hagelte es Kritik. Die Organisatoren ruderten zurück, weder die Höhe der Absätze sei definiert noch seien hohe Absätze überhaupt verpflichtend. Dennoch war das Thema in der Welt – und warf grundsätzliche Fragen nach dem Sinn fragwürdiger und potentiell frauenverachtender Dresscodes auf. „Ehrlich gesagt, sollte jeder flache Schuhe tragen“, sagte die britische Schauspielerin Emily Blunt. „Wir sollten sowieso auf High Heels verzichten.“

Dafür plädierte im vergangenen Jahr auch die japanische Schauspielerin und Autorin Yumi Ishikawa. Sie hatte für einen Teilzeitjob bei einem Bestattungsunternehmen High Heels anziehen müssen, mit der Folge, dass ihre Füße schmerzten und sie Rückenprobleme bekam. Viele Arbeitgeber in Japan schreiben das Tragen von hohen Schuhen ihren Mitarbeiterinnen vor. Ishikawa initiierte eine Petition an das Gesundheits- und Arbeitsministerium, derartige Vorgaben aus den Verträgen zu streichen. Unter dem Hashtag #KuToo standen ihr auf Twitter tausende Frauen zur Seite. KuToo setzt sich zusammen aus den Begriffen „kutsu“ für Schuh und „kutsuu“ für Schmerz und spielt auf die MeToo-Bewegung an – in diesem Fall ist ein Schuh das Instrument, das die Frau zum Objekt erniedrigt.

Rund 20.000 Frauen unterzeichneten Ishikawas Petition, für die japanische, stark von Konventionen geprägte Arbeitsgesellschaft eine hohe Zahl. Doch selbst dort sensibilisieren sich die Menschen für jede Art von Machtmissbrauch.

In Cannes signalisierte der High-Heels-Protest schon vor Jahren einen veränderten Zeitgeist, die MeToo-Diskussion brachte schließlich ein tiefgreifendes Umdenken. Festivaldirektor Thierry Frémaux hat vergangenes Jahr die Charta der Gruppierung 5050x2020 unterschrieben: Ziel ist eine Balance der Geschlechter, was Filme und Gremien angeht. Das Festival ist auf dem besten Weg, selbst ein Stillzimmer wurde im Palais eingerichtet.

Schauspielerin Kristen Stewart zog 2018 in Cannes bereits demonstrativ die High Heels aus und spazierte barfuß über den roten Teppich. „Die Leute regen sich sofort auf, wenn man keine High Heels trägt“, sagte sie dem „Hollywood Reporter“. „Aber so lange man von Männern nicht erwartet, dass sie Kleider und High Heels tragen, kann man das von von mir auch nicht erwarten.“

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