Neuss und seine Partnerstädte Der Blick der anderen

Neuss · Städtepartnerschaften berühren auch Fragen der Wirtschaft und beschäftigen Akteure in Schule, Kultur und Sport. Die haben einen ganz eigenen Blick auf diese Beziehungen und ihr Potenzial – und ganz klare Vorstellungen und Wünsche.

 Neuss unterhält fünf Städtepartnerschaft und eine Städtefreundschaft.  Die Stadt überlegt aber auch, eine Partnerstadt in Israel zu suchen und weiß noch nicht recht, wie die Beziehungen mit dem belgischen Leuven ausgestaltet werden können. Die Karte der Partnerstädte ist noch nicht fertig.   Montage: ki

Neuss unterhält fünf Städtepartnerschaft und eine Städtefreundschaft.  Die Stadt überlegt aber auch, eine Partnerstadt in Israel zu suchen und weiß noch nicht recht, wie die Beziehungen mit dem belgischen Leuven ausgestaltet werden können. Die Karte der Partnerstädte ist noch nicht fertig. Montage: ki

Foto: Stadt Neuss

 Atilla Seçen, aktuell noch amtierender Bürgermeister der türkischen Partnerstadt Nevsehir, ist vom heutigen Montag an für drei Tage in Neuss zu Gast. Es ist erst der zweite Besuch in der Geschichte der 2007 geschlossenen Städtepartnerschaft, die auch von Politikern außerhalb des Komitees für Partnerschaften und Internationale Beziehungen als größtes Sorgenkind betrachtet wird. Oder, wie es die Schulausschuss-Vorsitzende Gisela Hohlmann formuliert, wo es „das größte Verbesserungspotenzial“ gibt. Ihr fehlt ein deutsch-türkischer Förderverein, der diese Beziehung stärkt.

Im Jahr der Europawahl wünscht sich Bürgermeister Reiner Breuer, der die Pflege der aktuell fünf Städtepartnerschaften mit Dienstantritt zur Chefsache gemacht hat, dass Neuss weiterhin „Beiträge zur Völkerverständigung und zum Frieden leistet“. So hatte er es in der Neujahrsansprache mit Blick auf das Projekt Friedensglockenspiel ausgedrückt, das 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges mit der belgischen Stadt Leuven vollendet werden konnte. „Mal sehen, wie es mit Leuven weitergeht“, sagt Breuer jetzt. Er setzt stärker auf die Chance, in diesem oder im nächsten Jahr eine Partnerschaft mit einer Stadt ins Israel auf den Weg zu bringen.

Damit trifft Breuer nicht ganz den Nerv der Politik. Eine solche Partnerschaft sei sicher erstrebenswert, sagt der Kulturausschuss-Vorsitzende Michael Ziege, er aber würde gerne erst „die Gespräche mit Leuven intensivieren“. Dafür spricht sich auch Gisela Hohlmann aus – „ein Schüleraustausch könnte gut gelebt werden“. Sie will aber die Projekte nicht gegeneinander ausspielen. Hans-Peter Fantini unterstützt ebenfalls das Projekt Israel, glaubt aber aus seiner Sicht als Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses, dass eine Partnerschaft mit Leuven deutlich mehr Potenzial birgt. Nur Rolf Knipprath argumentiert zurückhaltender. „Ich bin der Ansicht“, sagt der Sportausschuss-Vorsitzende, „dass erst einmal die Zusammenarbeit mit den anderen Partnerstädten verbessert werden muss.“

Thema Logistik wichtig

Wirtschaft kann auch von Städtepartnerschaften profitieren. Die Verbindung mit dem russischen Pskow ist deshalb nach Überzeugung von Hans-Peter Fantini wichtig, „um sicherzustellen, dass Neuss nach einer – bestimmt eintretenden – Verbesserung der politischen Verhältnisse mit Russland einen Fuß in der Tür hat“. Das, so ist der Vorsitzende des Wirtschafts-Ausschusses überzeugt, wird einer „gegenseitigen wirtschaftlichen Belebung förderlich sein“. Potenziell am interessantesten aus seiner Sicht sei allerdings die seit 1972 bestehende Partnerschaft mit dem französischen Chalons – auch weil beide Länder Mitglied der EU sind. Sein Wunsch wäre, in den partnerschaftlichen Beziehungen auch wirtschaftliche Fragen etwa zum Thema Logistik zu bearbeiten. „Dadurch würde der Name unserer Stadt größere Bekanntheit erlangen als nur durch kulturelle und folkloristische Verbindungen.“

Schüleraustausch fördert junge Menschen

Schule braucht Städtepartnerschaften. Davon ist Gisela Hohlmann überzeugt. „Schüleraustausch fördert die persönliche Entwicklung und die individuellen Möglichkeiten junger Menschen“, sagt die Schulausschuss-Vorsitzende. Sie bedauert daher, dass die Gründung von Schulpartnerschaften, von denen sie gerne noch mehr sehen würde, wie auch der Schüleraustausch mit Partnerstädten als „schulinterne Angelegenheit“ gelten und vom Engagement einzelner Lehrer und der Unterstützung durch die Schulleitung abhängen. Pädagogen, die solche Reisen organisieren, sollten daher „eine deutlichere Anerkennung für ihr Engagement erfahren“. Und die „Internationalisierung“ sollte in der Aus- und Fortbildung von Lehrern verankert werden. Für sie hat die Partnerschaft mit Chalons das größte Potenzial und größte Bedeutung – „wegen der drohenden Ausfransung Europas an den Rändern.“

Sport - ein wesentliches Element

Sport kann ein wesentliches Element einer Städtepartnerschaft sein. Doch trotz Quirinus-Cup und anderer internationaler Begegnungen ist der Sportausschuss-Vorsitzende Rolf Knipprath der Ansicht, dass die Zusammenarbeit gerade in sportlichen Angelegenheiten mit den bestehenden Partnerstädten verbessert werden muss, bevor Gespräche mit einer sechsten oder gar siebten Partnerstadt aufgenommen werden. Gerade mit Städten wie St. Paul in den USA, „von denen ich es erwarten würde“, gäbe es zu wenig (sportliche) Aktivitäten. Seiner Überzeugung nach müssten der Sportausschussvorsitzende oder sein Stellvertreter Mitglied des Partnerschaftskomitees sein. „In den Gremien, die sich mit Sport beschäftigen, weiß man sehr wenig darüber, was in den Partnerstädten zum Thema Sport besprochen wird“, sagt Knipprath, der Partnerschaftsreisen von Sportvereinen stärker bezuschussen würde.

Kultur - regelmäßiger Austausch

Kultur ist der Humus, auf dem Städtepartnerschaften gedeihen. Dazu müsste, so wünscht es sich Michael Ziege, ein regelmäßiger Austausch der Kulturinstitute und Kulturschaffenden stattfinden – am besten mit gemeinsamen Veranstaltungen. Getragen von Vereinen wie dem Deutsch-französischen Kulturkreis oder der russlanddeutschen Gemeinde sieht der Kulturausschuss-Vorsitzende in den Städtepartnerschaften mit Chalons und Pskow das größte Potenzial. Den kulturellen Austausch mit den türkischen Städten Nevsehir und Bolu bezeichnet er als schwach. Ziege würde eine Städtepartnerschaft mit Leuven begrüßen – „und dass wir nicht im Status der Erinnerungskultur verharren.“ Eine Partnerstadt in Israel wiederum würde, nachdem Neuss die Zusammenarbeit mit der jüdischen Gemeinde gerade auf kulturellem Gebiet forciert hat, „der Stadtgesellschaft einen neuen Impuls geben.“

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