Neuss "Volksfeind" wird zum "Klüngel-Krimi"

Neuss · Das Theater am Schlachthof zeigt eine Inszenierung des Gesellschaftsdramas "Ein Volksfein" von Henrik Ibsen, die allen Erwartungen widerspricht. Ibsens Machtkampf unter Männern wird in eine Frauenfehde verwandelt.

 Wechselnde Spielorte und unterhaltsame Einlagen machen aus der Neusser Inszenierung des Dramas "Ein Volksfeind" eine faszinierende Neuentdeckung.

Wechselnde Spielorte und unterhaltsame Einlagen machen aus der Neusser Inszenierung des Dramas "Ein Volksfeind" eine faszinierende Neuentdeckung.

Foto: Jagna Witkowski

In ein Theaterstück von Henrik Ibsen geht man wohl kaum, um einen amüsanten Abend zu erleben. Die Familien- und Gesellschaftsdramen des Norwegers kommen in einem derart feierlichen Ton daher, dass man von Beginn an weiß: Ernst ist Zuschauerpflicht. Wie aber passt zum "Volksfeind" im Theater am Schlachthof eine Bühne, auf der putziges Familienglück mit Baby, Wäschetrockner und Staubsauger belegt wird? Erstes amüsiertes Glucksen im Publikum. Allgemeines Lachen, als zum Abendessen ein "Rote-Beete-Gazpacho" und ein "veganer Auflauf" serviert werden. Jetzt ahnt man, dass dieser Ibsen-Abend den Erwartungen widersprechen wird. "Ein Klüngel-Thriller" heißt es im Untertitel des Stücks, das Katja Lillih Leinenweber ziemlich eigenwillig bearbeitet und inszeniert hat. Der Klüngel ist bei ihr vor allem Frauensache.

Die junge, ehrgeizige Kurärztin Thea Stockmann entdeckt, dass das Heilwasser im Kurbad ihrer Heimatstadt verseucht ist. Diesen Umweltskandal will sie an die Öffentlichkeit bringen und einen Neubau der Wasserleitungen erreichen. Ihre Schwester Pia, Bürgermeisterin der Stadt, will die Enthüllung mit allen Mitteln verhindern, denn der Umbau würde Millionen kosten und den Gemeindehaushalt ruinieren. Aus dem Konflikt zwischen den beiden Schwestern entwickelt sich zusehends ein erbitterter Machtkampf.

Mit dem reißerischen Titel "Fango oder Sumpf?" will die örtliche Zeitung ihre Leser informieren. Doch der Verleger rät zur Besonnenheit: "Mäßigung ist die erste Bürgerpflicht". Maßhalten aber ist nicht die Sache der Kurärztin. Sie steigert sich in immer bedingungslosere Anklagen gegen die gesamte bürgerliche Gesellschaft und isoliert sich immer mehr. Ihr Schlusswort "Das ist die stärkste Frau der Welt, die allein steht", ist eine Selbsttäuschung.

Die kluge Entscheidung, Ibsens Machtkampf unter Männern in eine Frauenfehde zu verwandeln, macht den Abend auf der Blücherstraße zu einem besonderen Erlebnis. Die Schärfe der Dialoge bleibt erhalten, aber auf einer weicheren Tonspur. Dazu kommt eine Rollenbesetzung, die absolut überzeugt. Julia Jochmann als Thea Stockmann zeigt eine Frau, die ihr Leben als zeitgemäßen Idealfall eingerichtet hat: Ehemann im Erziehungsurlaub, ökologisch korrekter Haushalt und hoffnungsvolle Karriere. Dazu noch der Unbedingtheitselan aus der Studentenzeit: "Hasta la victoria siempre!" Dagegen steht die Schwester (Natascha Popov). Im Business-Outfit macht sie aus ihren Auftritten genau choreographierte Rituale der Dominanz. Bertholt Kastner gibt dem Verleger Aslaksen neben einer Prise Eitelkeit auch die beinahe gemütliche Bodenständigkeit, die zur städtischen Klüngelei gehört. Und Monika Sobetzko, vor allem aber Daniel Wandelt, präsentieren ihre Journalistenrolle wie ein Seminar über "Lügenpresse."

Die zweistündige Handlung (inklusive Pause) führt die Zuschauer durch mehrere Räume des Theaters am Schlachthof. Von der großen Bühne geht es zum kleinen Saal, und damit zur großen Bürgerversammlung. "Wir sind das Volk" zum mitskandieren, na klar. Hinzu kommt noch das Credo "Unser Wasser ist sauber." Der "Volksfeind" mag bei Ibsen zu den schwächeren Dramen gehören, aber in der Inszenierung von Katja Lillih Leinenweber mit vielen unterhaltsamen Einlagen ist es eine faszinierende Neuentdeckung. Hingehen.

(NGZ)
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